Insolvenz: Ist das Schutzschirmverfahren eine praktikable Lösung?
Das Schutzschirmverfahren wurde grundsätzlich eingeführt, um Entscheidungsträger in krisenbehafteten Unternehmen zu motivieren, möglichst frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, um einen Insolvenzplan zwecks Sanierung des Unternehmens einzureichen und umzusetzen.
Bis zu 3 Monate Zeit, einen Insolvenzplan zu erstellen
Das Schutzschirmverfahren soll dem Schuldner die Möglichkeit geben, unter der schützenden Hand des Gesetzgebers einen Insolvenzplan zu entwickeln und einzureichen. Dazu bestimmt das Gericht eine Frist von maximal drei Monaten. Sind die Voraussetzungen gegeben, kann der Schuldner sein Unternehmen zunächst „in Ruhe“ weiterführen, den Insolvenzplan entwickeln und braucht in der Regel dabei keine Angst vor Vollstreckungsmaßnahmen etc. zu haben.
Das zuständige Gericht kann dabei vorläufige Maßnahmen anordnen wie zum Beispiel die Bildung eines vorläufigen Gläubigerausschusses oder auch generellen Vollstreckungsschutz.
Der Schuldner hat dann in der Zeit zwischen Insolvenzantrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Regel weiterhin die Kontrolle über seinen Geschäftsbetrieb und kann ihn entsprechend fortführen, und zwar bis hin zur Begründung neuer Verbindlichkeiten, die nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO zu behandeln sind.
Gläubiger sollten immer auf Eigentumsvorbehalte hinweisen
Gem. § 270c InsO sind bei Anordnung der Eigenverwaltung und Einsetzung eines Sachwalters die Forderungen der Insolvenzgläubiger bei diesem anzumelden. Dabei sollte auch auf Eigentumsvorbehalte hingewiesen werden, auch wenn das Gericht zur Sicherstellung der Fortführung des Unternehmens für die benannte Frist die Einziehung und Verwertung aus- bzw. absonderungsfähiger Gegenstände untersagen kann, also etwa unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware und geleaste Betriebsmittel.
Dieses „Vorverfahren“ vor dem eigentlichen Insolvenz(plan)verfahren klingt in der Theorie vielversprechend. Schaut man sich die Umstände aber genauer an, liegen die Probleme auf der Hand.
Keine Freundschaftsdienste durch den Steuerberater
Späterer Sachwalter des Schutzschirmverfahrens und Testierer der Sanierungsfähigkeit dürfen nicht personen- gleich sein. Dies erscheint nicht weiter überraschend, da der Sachwalter eine sehr ähnliche Funktion wie ein vorläufiger Verwalter hat. Doch darf zum Beispiel auch nicht der langjährige Steuerberater, der das Unternehmen immer begleitet hat und bestens kennen sollte als Testierer agieren (vgl. AG München, Beschluss v. 29.3.2012, 1507 IN 1125/12).
Diese Entscheidung ist natürlich grundsätzlich nachvollziehbar, da der Gesetzgeber "Freundschaftsdienste" verhindern möchte. Doch stellt sich die Frage, welcher Steuerberater trotz der hohen Haftungsrisiken einen solchen Freundschaftsdienst gewähren würde.
Falsche Bescheinigungen führen mindestens zu Haftung bzgl. des Quotenschadens
Denn bescheinigt ein Steuerberater einem Unternehmen fälschlicherweise die Sanierungsfähigkeit, haftet er mindestens für den dadurch entstehenden Quotenschaden, der unter Umständen sehr hoch ausfallen kann. Und gerade das ist einer der ausschlaggebenden Gründe, warum das Schutzschirmverfahren noch nicht genutzt wird.
Denn ein externer Gutachter, der ein Unternehmen überhaupt nicht kennt, aber zeitnah eine so wichtige Prognose stellen soll, hat selbstverständlich ein eher ungutes Gefühl bei der Erstellung im Hinblick auf die nicht zu unterschätzenden Haftungsrisiken. Er kennt weder Unternehmen, noch Unternehmer und weiß somit nicht wirklich, worauf er sich einlässt.
Außerdem ist die Frage des Honorars nicht abschließend geklärt: Laut AG Göttingen, Beschluss v. 12.11.2012, wird der Gegenstandswert für das Schutzschirmverfahren gem. § 58 Abs. 1 GKG bei Been- digung des Schutzschirmverfahrens vor Eröffnung nach dem erzielten Einnahmeüberschuss bestimmt. Es ist in der Praxis aber eher üblich, ein Honorar auf Stundenbasis zu vereinbaren. Ob dies von Gerichten im Zweifel so auch immer akzeptiert werden wird, steht auf einem anderen Blatt.
Schutzschirmverfahren nur bei Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit möglich
Ein anderer Grund sind die grundsätzlichen Voraussetzungen und Änderungen der Gesetzeslage. So darf ein Unternehmen nur unter den Schutzschirm, wenn es noch nicht zahlungsunfähig, also "nur" drohend zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Dabei hat der Gesetzgeber den neuen Überschuldungsbegriff doch entfristet.
Ein überschuldetes Unternehmen muss bei einer positiven Fortführungsprognose insolvenzrechtlich überhaupt nicht mehr reagieren, also kein Insolvenzverfahren beantragen – folglich auch kein Schutzschirmverfahren, wenn die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. „Überwiegend wahrscheinlich“ – ein sehr dehnbarer Begriff.
Drohende Zahlungsunfähigkeit – ein dehnbarer Rechtsbegriff
So bleibt unterm Strich für das Schutzschirmverfahren neben einigen wenigen nicht überwiegend wahrscheinlichen Fortführungsprognosen im Hinblick auf Überschuldung also nur das Szenario der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt bekanntlich vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.
Per Definition bedeutet "voraussichtlich" hier, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist, als der Nichteintritt bezogen auf einen Zeitraum von mindestens einem Jahr. Da Planungsrechnungen immer ungenau sind und in der Regel gerade bei krisenbehafteten Unternehmen auch gerne ins bessere Licht gerückt werden, um frische Liquidität zu akquirieren, ist drohende Zahlungsunfähigkeit ein eher seltener (alleiniger) Insolvenzantragsgrund.
Schrecken die Haftungsrisiken ab?
Was bedeutet dies nun für das Schutzschirmverfahren? Es ist gut und förderlich für die Analyse des Konstruktes, dass einige mutige Unternehmens- und Steuerberater eine Bescheinigung der Sanierungsfähigkeit wagen, um der frühzeitigen Sanierung und dem Schutzschirmverfahren eine Chance zu geben.
Es ist zu hoffen, dass gescheiterte oder nicht akzeptierte bzw. umsetzbare Insolvenzpläne, die in einem Schutzschirmverfahren entwickelt wurden, nicht sofort haftungsrechtlich auf den Testierer abgewälzt werden. Denn sollte dies der Fall sein, ist das Schutzschirmverfahren zum Scheitern verurteilt.
Fazit
Zusammenfassend kann die Eingangsfrage also nicht beantwortet werden. Das Schutzschirmverfahren ist eine Option für einen kleinen Kreis. Es ist noch recht praxisunerprobt und es scheint hohe Risiken für die Berater zu beinhalten.
Doch ausgehend von der Prämisse, dass der Gesetzgeber Sanierungen fördern möchte und damit auch die Rechtsprechung versuchen sollte, diesen Grundsatz zu fördern, bleibt die Hoffnung, dass die Berater und Federführer eines solchen Verfahren bei gewissenhafter Ausübung eben nicht die Bauernopfer sind. Somit ist zu hoffen, dass gerade Steuerberater bei kleinen Anzeichen einer sich anbahnenden Krise, zumindest das Verfahren als Option wahrnehmen.
Denn grundsätzlich scheint das Schutzschirmverfahren geeignet, frühzeitig auf wirtschaftliche Probleme zu reagieren, sowohl im Interesse der Unternehmen, als auch der Gläubiger, die einen wesentlich größeren Einfluss nehmen können, als in einem Insolvenzverfahren.