Fehlerhafte PV-Backsheets: Es ist Gefahr im Verzug
Rechtsanwalt Matthias Weyhreter berät seine deutschen und internationalen Mandanten vorwiegend in der Streitbeilegung. Seit zwei Jahren ist er mit mangelhaften Backsheets befasst. Er gibt Hinweise, wie die Mängel juristisch zu bewerten sind. Ein Interview.
photovoltaik: Seit wann sind Sie als Rechtsanwalt mit schadhaften Modulen befasst?
Matthias Weyhreter: Ich bin seit zehn Jahren als Anwalt in der Solarbranche tätig und habe hierbei vor allem Ansprüche gegenüber Modulherstellern wegen mangelhafter Module mit einem Gesamtvolumen von über einem Gigawatt geltend gemacht. Seit 2018 habe ich Fälle mit mangelhaften Rückseitenfolien auf dem Tisch.
Was empfehlen Sie den Betriebsführern oder Betreibern von Solaranlagen?
Betriebsführer und Betreiber sollten ihre Solaranlagen umgehend inspizieren. Hierbei sind die Module auf das Vorliegen der typischen Schadensbilder von Polyamid- und PET-Rückseitenfolien zu untersuchen. Manchen Betriebsführern oder Betreibern ist die sogenannte Bill of Materials (BOM) der in den Solaranlagen verwendeten Module bekannt. In diesen Fällen kann der Typ der Rückseitenfolie ermittelt und herausgefunden werden, ob sie Polyamid oder PET enthält.
Und wenn die BOM nicht vorliegt?
Ist die BOM nicht bekannt, sollten die Betreiber sich nicht scheuen, von den Modulherstellern Auskunft zu verlangen. Die Hersteller sind gehalten, den Einsatz ihrer Materialien nachverfolgen zu können, schon allein aus Gründen der Produktsicherheit. Sie wissen genau, welche Folien in welchen Modulen eingebaut wurden, und können das anhand der Seriennummer nachverfolgen. Daher können die Hersteller in der Regel bei jedem einzelnen Modul mitteilen, ob Polyamid- oder PET-Folien verbaut wurden.
Was bedeutet das für die Anlagenbetreiber?
Bei Solarmodulen, die Polyamidfolien von bestimmten Herstellern enthalten, kann man davon ausgehen, dass diese im juristischen Sinne mangelhaft sind. Den entsprechenden Polyamidfolien fehlt die für die gewöhnliche Verwendung in Solarmodulen erforderliche Haltbarkeit. Solche Folien hätten niemals in Solarmodulen verbaut werden dürfen. Nach alledem, was heute bekannt ist, wird man das Gleiche wohl auch bei bestimmten PET-Rückseitenfolien sagen können.
Wie kann man dagegen vorgehen? Was müssen die Betreiber jetzt tun?
In vielen Fällen läuft derzeit noch eine zehnjährige verlängerte Gewährleistungsfrist. Denn in zahlreichen Verträgen, insbesondere bei Generalunternehmerverträgen zur Errichtung von Solarparks, wurde die gesetzliche Gewährleistungsfrist auf zehn Jahre verlängert. Darüber hinaus haben namhafte Modulhersteller schon ab 2010 zehnjährige Produktgarantien auf Material- und Verarbeitungsfehler gewährt. In der Verwendung von ungeeigneten Rückseitenfolien ist natürlich auch ein Materialfehler zu sehen.
Wir schreiben das Jahr 2020, also ist Eile geboten …
Genau. In vielen Fällen werden diese Fristen nun bald auslaufen. Die Modulmängel sollte man daher unverzüglich beim Hersteller und dem sonstigen Vertragspartner anzeigen und gegebenenfalls Klage einreichen. Zu beachten ist, dass die gesetzlichen Mängel- und Produktgarantieansprüche unabhängig davon sind, ob sich schon Mangelschäden oder Minderleistung an den einzelnen Modulen zeigen.
Sie unterscheiden zwischen Mangel und Schaden. Können Sie uns den Unterschied kurz erklären?
Bei der Frage des Vorliegens eines Produktmangels ist es rechtlich unerheblich, ob während der Gewährleistungsfrist schon ein Schaden durch den Mangel entstanden ist. Ein Produkt ist mangelhaft, wenn es über die gesamte erwartete Lebensdauer nicht uneingeschränkt nutzbar ist. Solarmodule sind regelmäßig auf den dauerhaften Betrieb von mindestens 25 bis 30 Jahre ausgerichtet. Solarmodule müssen daher über genau diesen Zeitraum uneingeschränkt nutzbar sein, das heißt eine entsprechende Haltbarkeit aufweisen. Bei Modulen mit bestimmten Polyamid-Rückseitenfolien ist bekannt, dass diesen die entsprechende Haltbarkeit fehlt, sodass ein Produktmangel schon lange vor Eintritt der Mangelfolgeschäden, zum Beispiel der typischen Risse, nachgewiesen werden kann. Dasselbe kann man wahrscheinlich auch bei den PET-Folien sagen.
Also muss man nicht auf erkennbare Schäden warten, um aktiv zu werden?
Nein, man sollte schon vor Eintritt der Schäden seine Ansprüche geltend machen und gegebenenfalls Klage erheben, um noch innerhalb der verlängerten Gewährleistungs- oder Produktgarantiefrist aktiv zu werden.
Und wenn die Gewährleistungsfrist bereits vorbei ist?
Dann greift die Leistungsgarantie der Modulhersteller. Aber da ergeben sich die Fragen: Besteht eine relevante Minderleistung und wie weise ich sie nach?
Kann ja sein, dass die Module noch die entsprechende Leistung bringen …
Stimmt, die Module mit beschädigten Rückseitenfolien bringen vielfach noch Leistung. Aber weil der Inverter aufgrund des Isofehlers zu spät einschaltet oder zeitweise abschaltet, schwindet der Ertrag. Bei starken Schäden am Modul ist es meist einfacher, eine Leistungsminderung nachzuweisen.
Wenn die Folien bereits gerissen sind, kann das riskant werden …
Module mit beschädigten Rückseitenfolien stellen eine mögliche Gefahr für Leib und Leben infolge eines Stromschlags dar. Es stellt sich daher die Frage, ob Module eine Leistung im Sinne der Leistungsgarantie erbringen können, wenn sie ein Sicherheitsrisiko darstellen und daher eigentlich ausgetauscht werden müssen. Am Ende werden die Gerichte klären müssen, ob in solchen Fällen die Leistungsgarantie verletzt ist und der Hersteller einen Modulaustausch schuldet.
Manche Hersteller besprühen die Folien von hinten mit Farbe oder Paste. Manche kleben im Feld eine Reparaturfolie auf. Was sagt der Jurist dazu?
Einige Hersteller behaupten, dass Module mit mangelhaften Rückseitenfolien repariert werden könnten, und wollen daher keine Austauschmodule bereitstellen. Juristisch erscheint eine Reparatur bei fehlerhaften Rückseitenfolien jedoch unhaltbar. Eine Reparatur im Rechtssinne liegt nur dann vor, wenn mit der entsprechenden Maßnahme der Mangel auch beseitigt werden kann.
Stelle ich mir schwierig vor …
Eine Rückseitenfolie, der die notwendige Haltbarkeit fehlt, könnte man nur durch eine neue, geeignete Folie ersetzen. Nur dann läge eine Mangelbeseitigung vor. Da die Rückseitenfolie fest mit der EVA verbunden ist, kann diese schon aus technischen, aber auch betriebswirtschaftlichen Gründen nicht ausgetauscht werden. Das Anbringen einer Reparaturfolie oder auch das Aufbringen einer Reparaturpaste stellt nur einen unerprobten und unsicheren Versuch dar, gewisse negative Folgen der mangelhaften Rückseitenfolie in ihrer zeitlichen Entwicklung einzudämmen.
Wird es dann nicht noch komplizierter?
Die Vornahme solcher Maßnahmen würde auch zu unlösbaren technischen und rechtlichen Fragen führen. Wer weist wie nach, dass diese Maßnahmen nachhaltig sind und nicht etwa ganz neue Haltbarkeitsprobleme mit sich bringen? Wie löst man das Problem des Verlusts der Zertifizierung? Ändert man die wesentlichen Modulbestandteile eines Moduls, erlöschen die Zertifizierungen und damit eigentlich auch die Betriebserlaubnis. Im Übrigen kenne ich keinen einzigen Fall, bei dem Modulhersteller überhaupt eine nennenswerte Anzahl an Modulen so „repariert“ hätten.
Also keine Reparatur, nur Ersatz?
Richtig, da eine Reparatur faktisch unmöglich ist, bleibt zumeist nur ein Modulaustausch. Manche Garantien geben den Modulherstellern noch das Recht eines Freikaufs. Das heißt, der Betreiber der Anlage wird mit Geld entschädigt. Die Summe richtet sich zumeist nach dem Einkaufspreis der Module abzüglich eines Nutzungsentgelts. Da die Module vor zehn Jahren aber verhältnismäßig teuer waren, bieten die Hersteller grundsätzlich Austauschmodule an. Aus meiner Praxis keine ich keinen einzigen Fall, bei dem Hersteller Geldzahlungen angeboten haben.
Sie haben das Sicherheitsproblem bei Solarmodulen mit beschädigten Rückseitenfolien erwähnt, wie ist das juristisch einzuordnen?
Zunächst ist zwischen dem öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrecht und der zivilrechtlichen Produkthaftung (auch Produzentenhaftung) zu unterscheiden. Das Produktsicherheitsrecht gibt zum Beispiel den Marktüberwachungsbehörden das Recht, den Rückruf oder die Rücknahme von Produkten gegenüber Herstellern, Importeuren und Händlern anzuordnen, wenn diese Produkte ein ernstes Risiko für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellen. Darüber hinaus sind die Behörden auch über das Vorliegen eines entsprechenden Risikos sowie über die getroffenen Maßnahmen zur Risikovermeidung zu unterrichten. Unter der zivilrechtlichen Produzentenhaftung versteht man die Haftung des Herstellers für Schäden, die durch die Benutzung seines Produktes entstanden sind. Die Schadenersatzpflicht bezieht sich dabei sowohl auf Sach- als auch auf Personenschäden. Für die Schäden am fehlerhaften Produkt, von dem die Gefahr ausgeht, kommt regelmäßig kein Schadenersatz in Betracht.
Welche Pflichten ergeben sich daraus für die Hersteller und die Betreiber?
Um einer solchen zivilrechtlichen Haftung zu entgehen, sind die Verantwortlichen verpflichtet, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vorzunehmen. Art, Umfang und Intensität solcher Maßnahmen sind abhängig vom Ausmaß der Gefährdung und den betroffenen Rechtsgütern (Eigentum, Leib und Leben). Hierbei kommen eine Produktwarnung und letztlich sogar der aus der Automobilbranche bekannte Produktrückruf in Betracht.
Was bedeutet das für die mangelhaften Rückseitenfolien?
Die Hersteller der Solarmodule mit Polyamid- und PET-Folien sind zunächst einmal verpflichtet, eine Risikoanalyse zu erstellen, um die Gefährdung einschätzen zu können. Auf der Grundlage dieser Analysen haben diese zu entscheiden, ob und welche Gefahrenabwehr erforderlich ist, um die angesprochenen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Herstellerpflichten einzuhalten.
Mindestens ein Modulhersteller hat bereits eine Produktwarnung wegen Polyamid-Rückseitenfolien herausgegeben. Er will den Anlagenbetreibern Lösungen anbieten. Was sagen Sie dazu?
Ja, das ist richtig, der Fall ist mir bekannt. Es wird interessant werden, welche Lösungen dieses Unternehmen für das Rückseitenproblem anbietet und ob diese Lösungen gegebenenfalls vor Gericht Bestand haben werden. Ich gehe davon aus, dass nun weitere Modulhersteller reagieren.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in photovoltaik 04/2020
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