Warum die thermische Desinfektion nicht vor Legionellen schützt
Trinkwasser muss genusstauglich und rein sein. Das fordert eindeutig und klar die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) 2023 im Abschnitt 2. Die Anforderungen (nach § 37 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes an die Beschaffenheit von Trinkwasser) gelten dabei als erfüllt, wenn „bei der Trinkwassergewinnung, der Trinkwasseraufbereitung und der Trinkwasserverteilung einschließlich der Wasserspeicherung mindestens die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden“. Die Verantwortung für die Güte des Trinkwassers ist also auch zentrale Aufgabe des Sanitärhandwerks, das über die fachlich einwandfreie Ausführung der häuslichen Trinkwasser-Installation wesentlich zur hohen Qualität des „Lebensmittels Nr. 1“ beiträgt.
Trinkwasser-Installation ist nie keimfrei
Trinkwasser enthält jedoch immer Bakterien aller Art, darunter auch solche, die die menschliche Gesundheit gefährden können. Wie stark das der Fall ist, hängt von ihrer Konzentration im Trinkwasser ab. In geringen Mengen sind pathogene, also krankmachende Keime für den Menschen ungefährlich.
Die für den Menschen gefährlichste Art von Bakterien im Trinkwasser sind Legionellen (Legionella spec.). Sie gelten als Indikator für die hygienische Qualität einer Trinkwasser-Installation. Wird der technische Maßnahmenwert von 100 KBE (KBE = Kolonien bildende Einheiten) auf 100 ml Trinkwasser erreicht, sind sofort technische Maßnahmen zur Ursachensuche erforderlich (siehe unten).
Legionella pneumophila: der gefährlichste Keim im Trinkwasser
Die Unterart Legionella pneumophila ist weltweit für über 90% aller durch Legionellen verursachten Erkrankungen verantwortlich. In Installationen für warmes Trinkwasser findet diese Mikrobe ein ideales Biotop vor allem dann, wenn es zu Stagnation infolge häufiger Nutzungsunterbrechungen kommt. Oder wenn die 60/55-°C-Regel für Trinkwasser warm (PWH) nicht eingehalten, sondern unterschritten wird.
Der Grund: Alle Legionellen vermehren sich am schnellsten im stehenden Wasser und bei Temperaturen zwischen 25 und 45°C. In dieser „Wohlfühlzone“ verdoppelt sich ihre Zahl etwa bei 25°C binnen 36 Stunden und bei 37°C schon innerhalb von 29 Stunden. Deswegen darf nach DVGW-Arbeitsblatt W 551 Trinkwasser kalt (PWC) auch nicht wärmer werden als 25°C (besser: 20°C).
Gesundheitsgefährdend werden Legionellen bei der Vernebelung von belastetem Trinkwasser. Mit den sich dabei bildenden Aerosolen beispielsweise beim Duschen oder im Whirlpool werden die Bakterien eingeatmet. Das kann zwei Arten von Erkrankungen hervorrufen: die Legionärskrankheit (auch Legionellose genannt) und das Pontiac-Fieber.
Nach der Capnetz-Studie [1] sind in Deutschland Legionellen jährlich für 15.000 bis 30.000 Erkrankungen an Legionellose verantwortlich. Davon verlaufen schätzungsweise 1500 bis 2000 tödlich. Für das nicht tödliche Pontiac-Fieber schätzt das Robert Koch-Institut (RKI) zehn- bis hundertfach höhere Fallraten. Daher stuft das Umweltbundesamt (UBA) Legionellen als den bedeutendsten Umweltkeim ein, vor dem die Bevölkerung zu schützen ist.
Die Trinkwasser-Installationen etwa jedes dritten Gebäudes zeigten nach Probennahmen mindestens einmal einen Legionellenbefund. In rund jedem sechsten Gebäude wurde der technische Maßnahmenwert überschritten. Das ergab eine Analyse des Arbeitskreises Trinkwasseranalytik der Bundesvereinigung der Firmen im Gas- und Wasserfach (figawa). Die Analyse basiert auf über einer Million Datensätzen. Mit letzter Sicherheit lässt sich allerdings nicht sagen, welchen Anteil Trinkwasser-Installationen als Infektionsort an den gesamten Legionellose-Infektionen haben.
Was genau bewirkt die thermische Desinfektion?
Technische Maßnahmen gegen Legionellen müssen ab einer Konzentration von 100 KBE/100 ml ergriffen werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Verhindern des Wachstums (bei 55 bis 60°C) und dem Abtöten der vorhandenen Legionellenkolonien, was mindestens eine Wassertemperatur von 70°C und eine definierte Einwirkzeit erfordert.
In der Praxis wird aber immer wieder auf eine sogenannte Legionellenschaltung (oder auch Legionellenschleuse) gesetzt, um die mikrobielle Belastung einer Trinkwasser-Installation zu verringern. Dabei wird die Temperatur des warmen Trinkwassers im Speicher sowie im ganzen Zirkulationssystem in regelmäßigen Abständen zeitweise auf über 60°C erhöht. In der Regel erfolgt das automatisch über die Steuerung des Wärmeerzeugers.
Bei der thermischen Desinfektion hingegen wird die Wassertemperatur in der gesamten Installation an allen Stellen für mindestens drei Minuten auf mindestens 70°C erhöht. Das muss zudem geprüft und dokumentiert werden. Dieser Maßnahme liegt das DVGW-Arbeitsblatt W 551 zugrunde; der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) hat dazu auch die twin Nr. 05 „Desinfektion von Trinkwasser-Installationen zur Beseitigung mikrobieller Kontaminationen“ herausgegeben.
Beide Methoden – die Legionellenschaltung und die thermische Desinfektion – können jedoch die gesundheitsgefährdende Vermehrung von Legionellen nicht zuverlässig und dauerhaft verhindern. Das macht ein Blick auf deren „Lebensweise“ deutlich. In Trinkwasser-Installationen ist ihr bevorzugtes Biotop der an den Innenwänden des gesamten Rohrleitungssystems haftende Biofilm. In diesen Biofilmen leben sie mit einer Dichte von bis zu 100.000 KBE/cm² gemeinsam mit anderen Mikroben. Legionellen nutzen dabei vorwiegend Amöben (in und außerhalb von Biofilmen) als Wirtstiere. In deren Innerem ernähren und vermehren sie sich recht komfortabel. Oftmals existieren in einer Amöbe mehrere Hundert Legionellen gleichzeitig.
Sowohl Biofilm als auch Amöbe dienen den Mikroben zudem als Schutz vor gefährlichen äußeren Einflüssen chemischer, biologischer und – für diese Betrachtung wichtig – thermischer Art. Ein Laborversuch macht das deutlich: Die Anzahl von frei im Wasser lebenden Legionellen wurde bei einer Temperatur von 50°C in 45 Minuten drastisch reduziert. Hingegen brauchte die gleiche Reduzierung in gleich warmem Wasser bei in Amöben „versteckten“ Legionellen zwischen 10 und 13 Stunden. Ähnliches ist für die Konzentration von Legionellen im „Schutzraum“ Biofilm anzunehmen. Dazu kommen drei weitere wichtige Aspekte:
- Werden Legionellen öfter hohen Temperaturen ausgesetzt, passen sie sich den veränderten Umweltbedingungen an und entwickeln eine immer größere Widerstandsfähigkeit. Das macht sowohl die Legionellenschaltung (≥ 60 °C) als auch die thermische Desinfektion (≥ 70 °C) auf Dauer wirkungslos. Zudem werden die überlebenden und weiter wachsenden Stämme robuster gegen thermische „Attacken“.
- Auch Bakterien verspüren Stress, verursacht beispielsweise durch für sie unangenehm hohe Temperaturen. Diesen thermischen Stress reduzieren Legionellen, indem sie sich nicht weiter vermehren und nur ihren individuellen Stoffwechsel erhalten. Sie verfallen in einen Überlebensmodus namens VBNC-Zustand (VBNC = viable but not culturable / lebend, aber nicht kultivierbar). Fatalerweise werden diese „Schläfer“ mit den üblichen Untersuchungsmethoden (Zählung von KBE) nicht entdeckt. Selbst nach Jahren und Jahrzehnten können diese aus dem VBNC-Zustand „wiedererweckten“ Legionellen die Trinkwasser-Installation also erneut belasten, obwohl es bei Beprobungen keine entsprechenden Befunde gab.
- Ähnliches gilt, wenn insbesondere Legionella pneumophila „ausgehungert“ werden soll. Entzieht man dem Bakterium das Nahrungsangebot, beispielsweise durch Chlorung des Trinkwassers, passt es sich hervorragend an und überlebt solche mageren Zeiten recht gut. Ausgerechnet die für den Menschen gefährlichste Legionelle erweist sich also als ein besonders widerstandsfähiger „Hungerkünstler“.
Die beschriebenen Befunde werden durch unterschiedlichste Studien bestätigt. Sie lassen den einen Schluss zu: Zwar haben thermische Desinfektionen einen gewissen (kurzfristigen) Effekt auf die Legionellenkonzentration in Trinkwasser-Installationen. Der Erfolg hängt jedoch von zahlreichen Unwägbarkeiten und Variablen ab. Ob damit Legionellen in Trinkwasser-Installationen dauerhaft und verlässlich unschädlich gemacht werden können, ist bis zum heutigen Stand äußerst fraglich.
Hinzu kommt: Eine häufige Erhöhung der Wassertemperatur auf über 60°C ist auch technisch nicht ratsam, weil das die Installationsmaterialien dauerhaft zu sehr schädigen würde und energieintensiv ist.
Risiken und Nachteile der thermischen Desinfektion
Entsprechend hält das UBA die regelungstechnischen Maßnahmen der Legionellenschaltung nicht für geeignet, die Konzentration von Legionellen effektiv zu vermindern. Und auch für den DVGW ist die Legionellenschaltung oder Legionellenschleuse nicht zielführend im Sinne einer thermischen Desinfektion (siehe dazu die DVGW-Arbeitsblätter W 551, W 551-3 und W 551-2, Tabelle 8).
Ob allerdings die thermische Desinfektion gemäß Arbeitsblatt W 551 mit Trinkwassertemperaturen ≥ 70 °C in der gesamten Trinkwasser-Installation über mindestens drei Minuten tatsächlich ausreicht, den Legionellenbefall zu beseitigen, ist ebenfalls zweifelhaft. Das zeigen Untersuchungen zu thermischen Desinfektionen mit sogar deutlich längeren Spülzeiten.
So konnten nach fünfminütigen Spülungen bei ≥ 70°C immer noch Legionellen nachgewiesen werden. Erst bei mehr als zehn Minuten bei ≥ 70°C war kein Nachweis mehr möglich. Die vom DVGW empfohlene dreiminütige Spülung mit 70-gradigem Wasser ist also keinesfalls ausreichend. Dazu kommt der hohe energetische, personelle und organisatorische Aufwand dieser Maßnahme. Außerdem birgt sie das Risiko des Wärmeübergangs auf kaltgehende Trinkwasserleitungen – mit eventuell nachfolgender Verkeimung auch dieser Installation.
Zudem werden beispielsweise an der Rohrinnenwand anhaftende Biofilme und Amöben weder durch Legionellenschaltungen noch durch thermische Desinfektion beseitigt. Eine Quelle allen Übels bleibt also auch nach der thermischen Desinfektion zumeist erhalten. Deswegen ist die pauschale wie auch kontinuierliche Anwendung nach der neuen TrinkwV nur noch in Zusammenhang mit einem technischen Sanierungsplan erlaubt.
Hoher Legionellenbefall ist immer ein technischer Mangel
Was also ist zu tun? Liegen bei einer Probennahme des Trinkwassers nach DIN EN ISO 19458, Zweck b, mikrobielle Belastungen vor, die entsprechende Maßnahmen erfordern, ist grundsätzlich von technischen Mängeln auszugehen (Stagnation, Temperaturregime). Eine erste (vorübergehende) Sofortmaßnahme wäre dann beispielsweise der Einsatz bakteriendichter Filter an bestimmten Entnahmestellen. Letztlich ist jedoch die technische Sanierung einer kontaminierten Trinkwasser-Installation die einzig nachhaltige Lösung.
Dazu gehört beispielsweise die Installation von Reihenleitungen für warmes und kaltes Trinkwasser oder von Ringleitungen für Kaltwasser. Dadurch wird das Stagnationsrisiko ebenso verringert wie durch den Einsatz von Spülstationen. Zudem sind warm- und kaltgehende Rohrleitungen möglichst zu trennen und Stagnations- sowie Totstrecken zu beseitigen. In letzter Konsequenz ist ein dauerhafter Sanierungserfolg also nur mit einer Kombination aus bautechnischen und verfahrenstechnischen Maßnahmen zu erreichen.
Als Vorgehensweise empfiehlt sich dabei ein Schema, das sich im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Water-Safety-Plans (WSP) bewährt hat, wie ihn unter anderem das UBA in seinem Handbuch „Das Water Safety Plan (WSP)-Konzept für Gebäude“ für hygienisch sensible Objekte empfiehlt: Im Rahmen einer Objektbegehung erfasst ein fachkundiges, interdisziplinär aufgestelltes Team die kontaminierte Trinkwasser-Installation in allen Details.
Dabei werden problematische verbaute Werkstoffe (wie Blei), Auffälligkeiten wie Färbung oder Geruch des Trinkwassers, Risiken durch mögliche Nutzungsunterbrechungen oder Risiken in der Temperaturhaltung (zum Beispiel aufgrund externer Wärmeeinträge) von kaltgehenden Trinkwasser-Installationen sowie der allgemeine Betriebszustand der Installationskomponenten (inklusive angeschlossener Apparate im Hinblick auf Rückdrücken, Rückwachsen und Rücksaugen wassergefährdender Stoffe) schriftlich festgehalten.
Aus dieser Bestandsaufnahme lässt sich dann eine Bewertung der Risiken ableiten und ein Plan entwickeln, wie bestehende Mängel behoben und künftige Risiken beherrschbar werden. Dazu können baulich-technische, betriebliche oder nutzungsspezifische Maßnahmen – oder sogar eine Kombination daraus – gehören. Der Erfolg der Maßnahmen wird dann über eine typische Endpunktkontrolle, zum Beispiel eine hygienisch-mikrobiologische Untersuchung des Trinkwassers, gemessen.
Wann akuter Handlungsbedarf besteht
Gemäß TrinkwV, Abschnitt 11, § 51: Handlungspflichten des Betreibers in Bezug auf Legionella spec.
Wird in einer Trinkwasser-Installation der festgelegte technische Maßnahmenwert für den Parameter Legionella spec. erreicht, so hat der Betreiber der Wasserversorgungsanlage, in der sich die Trinkwasser-Installation befindet, unverzüglich
- dies dem Gesundheitsamt anzuzeigen, sofern ihm kein Nachweis darüber vorliegt, dass bereits die Anzeige nach § 53 Absatz 1 durch die zugelassene Untersuchungsstelle erfolgt ist,
- Untersuchungen zur Klärung der Ursachen durchzuführen; diese Untersuchungen müssen eine Ortsbesichtigung sowie eine Prüfung der Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik in der betroffenen Trinkwasser-Installation einschließen,
- eine schriftliche Risikoabschätzung unter Beachtung der Empfehlung des Umweltbundesamtes „Empfehlungen für die Durchführung einer Gefährdungsanalyse gemäß Trinkwasserverordnung – Maßnahmen bei Überschreitung des technischen Maßnahmenwertes für Legionellen“ vom Dezember 2012 (Bundesgesundheitsblatt 2023 Seite 188) zu erstellen und
- unter Beachtung der in Nummer 3 genannten Empfehlung des Umweltbundesamtes die Maßnahmen durchzuführen, die nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher erforderlich sind.
Geschieht das nicht, greift Abschnitt 14, § 68 der TrinkwV: Besondere Maßnahmen des Gesundheitsamtes in Bezug auf Legionella spec.
Wird dem Gesundheitsamt bekannt, dass der technische Maßnahmenwert für den Parameter Legionella spec. in einer Trinkwasser-Installation erreicht wird, und kommt der Betreiber der betroffenen Wasserversorgungsanlage seinen Handlungspflichten nicht nach, so fordert das Gesundheitsamt ihn unter Fristsetzung auf, diese Handlungspflichten zu erfüllen.
Dieser Artikel von Dr. Christian Schauer erschien zuerst in SBZ 10/2023. Dr. Christian Schauer ist Direktor des Kompetenzbereichs Trinkwasser, Corporate Technology bei dem Systemhersteller von Installationstechnik Viega.