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Wohnraumlüftung: Wie praxistauglich ist die DIN 1946-6?

Herbert Gottschalk
Starker Kondensatanfall auf der Innenseite eines älteren Fensters. Eine Fenstermodernisierung ohne Lüftungskonzept würde das Problem nur verlagern und durch eine bessere Abdichtung eventuell sogar verschärfen.

Wegen der Schimmelbildung in fast dichten Wohngebäuden diskutieren Experten schon seit Jahren darüber, wie und durch wen eine ausreichende Lüftung sicherzustellen ist. Dabei geht es unter anderem um folgende Fragen: Sind technische Lösungen erforderlich und wie müssen diese dimensioniert sein? Lassen sie sich mit konventionellem Fensterlüften kombinieren? Welches Lüftungskonzept kommt für Räume infrage, in denen die Fenster aufgrund von Lärmbelästigung über lange Zeitintervalle geschlossen bleiben müssen?

Schimmel in Neu- und Altbauten

Die Ausgangslage: Gebäudehüllen von Neubauten werden durch energiebewusstes Bauen immer dichter errichtet. Als Folge wird die Restinfiltration von Außenluft durch verbleibende (zulässige) Leckagen (Außenluftvolumenströme) so gering, dass trotz gut gedämmter Gebäude Außenhülle Schimmelbildung – auch bei mehrmaligem Fensterlüften pro Tag – keine Seltenheit ist.

Auch in Altbauten sind Feuchteschäden und Schimmelbildung ein großes Problem: Hier sind die Ursache meist neue und damit luftdichtere Fenster, die deutlich energieeffizienter sind, aber auch das Raumklima verändern. Der tatsächliche Lüftungsbedarf hängt von zahlreichen Faktoren ab. Dazu gehören das Außenklima, der Luftwechsel durch Restinfiltration sowie die Beheizung und Feuchteerzeugung (Nutzungsweise). TÜV SÜD Industrie Service rät zu einer ganzheitlichen Betrachtung sämtlicher Einflussfaktoren zum Feuchteschutz. Denn welche zusätzlichen Luftwechselraten beispielsweise notwendig sind, um konkrete Feuchteschutz-Ziele und Vorgaben zbw. Normen und DIN zu erreichen, kann nur auf den Einzelfall bezogen entschieden werden.

Einbausituation eines Einzelraumlüfters, Typ inconVent.
Dezentrale kontrollierte Wohnraumlüftung inklusive Wärmerückgewinnung.

DIN 1946-6 Norm fordert kontrollierte Wohnraumlüftung

DIN 1946-6 „Lüftung von Wohnungen“ legt fest, dass die Lüftung zum Feuchteschutz nutzerunabhängig sicherzustellen ist. Zur Begründung: Neubauten und modernisierte Wohngebäude seien so luftdicht, dass ohne den Einsatz technischer Lüftungssysteme die Fenster sehr häufig zu öffnen wären. Häufiges Fensterlüften ist grundsätzlich möglich, wird aber rechtlich für die Bewohner ab einem gewissen Grad als nicht zumutbar eingestuft.

Die Norm fordert so im Kern eine kontrollierte Wohnungs -Lüftung mit technischen Systemen – unabhängig von der Anwesenheit der Bewohner und damit auch unabhängig von manuellem Fensterlüften. So soll dauerhaft einer möglichen Schimmelbildung durch zu hohe Raumluftfeuchte vorgebeugt werden.

Für Neubauten schreibt DIN 1946-6 den Nachweis eines Lüftungskonzepts vor. Aber auch bei modernisierten Altbauten kann die Norm zu Lüftungskonzepten zur Anwendung kommen. Entscheidend ist der Umfang der Sanierungen: Werden mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster gegen neue und damit luftdichtere Varianten ausgetauscht bzw. wird mehr als ein Drittel der Dachfläche neu abgedichtet, greift DIN 1946-6 ebenfalls.

Die Norm gibt verbindliche Berechnungsmethoden zur Ermittlung der Luftwechselraten zum Feuchteschutz vor. Ohne zusätzliche Maßnahmen, wie Fensterlüfter und Abluftventilatoren (Ventilatorgestützte Lüftung), gelingt der erforderliche Nachweis eines die Normvorgaben erfüllenden Lüftungskonzepts nur selten.

Beim Lüftungskonzept gibt es keinen Spielraum

Wie wird in der Praxis vorgegangen? Zurzeit werden im Mehrfamilienhausbau in Deutschland nur selten Zu- und Abluftanlagen, insbesondere welche mit Wärmerückgewinnung, nach DIN 1946-6 errichtet. Dies hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen sind die in der Norm geforderten Volumenströme zur Nennlüftung im Regelfall höher als dies in der Praxis tatsächlich erforderlich ist. Zum anderen spielen die zu veranschlagenden Kosten eine erhebliche Rolle in der Gesamtbetrachtung: Pro Wohneinheit sind bis zu 15.000 Euro an Zusatzkosten für ein DIN-1946-6-System mit maschineller Wohnraumlüftung inklusive Wärmerückgewinnung anzusetzen. Moderatere Lösungsansätze kämen mit meist noch vertretbaren 6.000 Euro aus.

Um hohen Kosten auszuweichen, werden Konzepte mit Fensterlüftung oder mit Abluftanlagen, angelehnt an (bzw. nach) DIN 18 017-3 „Lüftung von Bädern und Toilettenräumen ohne Außenfenster mit Ventilatoren“, realisiert. In vielen Fällen wäre jedoch eine Gesamtlösung besser, die kontrollierte Wohnraumlüftung mit Fensterlüften kombiniert.

Diese lebensnahe Lösung findet jedoch in DIN 1946-6 keine Berücksichtigung. Denn es fehlen Angaben darüber, wie normales Fensterlüften – in Kombination mit Lüftungsanlagen – in die vorgeschriebenen Kalkulationen integriert werden kann. Schlimmer noch: Die Norm lässt keinen Spielraum beim Lüftungskonzept zu. Bei Verwendung einer ventilatorgestützten Lüftung ist diese nach Nennlüftung auszulegen. Eine Ergänzung durch Fensterlüftung ist in der Norm bisher nicht vorgesehen.

Wohnraum-Lüftungskonzepte immer individuell betrachten

Aus der Sicht von TÜV SÜD ist das Planen der Lüftung mit der Erstellung eines Lüftungskonzepts gleichzusetzen. Die Wohnraumlüftung sollte grundsätzlich im Einzelfall betrachtet und dann auch so geplant werden. Wichtig ist dabei, die bauphysikalischen Gegebenheiten und weitere ortstypische Rahmenbedingungen für das geplante Lüftungssystem im Blick zu haben. Hierzu zählen beispielsweise die Nutzung, die Beheizung und das Außenklima. Für bestimmte Wohnungen oder einzelne Räume kann ein Lüftungskonzept durchaus allein aus Fensterlüften bestehen. Für andere Gebäude oder andere Rahmenbedingungen ist eine Kombination verschiedener lüftungstechnischer Maßnahmen ideal.

Unter Experten gilt DIN 1946-6 aufgrund offener und teils auch widersprüchlicher Passagen mindestens in entscheidenden Teilen nicht als anerkannte Regel der Technik. Deshalb sollte allenfalls in Anlehnung an die Norm DIN 1946-6 geplant werden und zum Beispiel der DIN-Fachbericht 4108-8 „Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Teil 8: Vermeidung von Schimmelwachstum in Wohngebäuden“ Berücksichtigung finden.

Lüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung zur Montage in die Außenwand, Typ Thermo-Lüfter 200-50.

Bedarfsgerechtes Lüftungskonzept erstellen

Aus technischer Sicht muss bei jedem Neubau und jeder Bau- oder Modernisierungsmaßnahme, die einen festgelegten Umfang überschreitet, ein Lüftungskonzept erstellt werden. Dies sollte jedoch stets situationsbezogen und bedarfsgerecht geplant werden, zudem sollten dabei alle beteiligten Gewerke fachübergreifend einbezogen werden.

Die Erstellung eines Lüftungskonzepts kann in Anlehnung an DIN 1946-6 erfolgen. Erfahrungsgemäß führt eine zu enge Auslegung der Norm mit hoher Wahrscheinlichkeit zu unverhältnismäßigen und nicht wirtschaftlichen, häufig mindestens zu energetisch schlechten Lösungen.

Ein kritischer Punkt ist die mögliche Überdimensionierung von Lüftungssystemen. Sie wird durch fehlende Angaben zur Kombination von normalem Fensterlüften mit automatisierten Lüftungsanlagen begünstigt. In der derzeit anstehenden Überarbeitung der Norm wird dieser Punkt bereits diskutiert.

Dieser Beitrag von Herbert Gottschalk ist zuerst erschienen in TGA Fachplaner/12-2016, bearbeitet von haustec.de. Dipl.-Ing. Herbert Gottschalk ist Leiter Bautechnik bei TÜV SÜD Industrie Service in München.

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