UBA: Treibhausgas-Emissionen sinken 2023 um 10,1 Prozent
Im Jahr 2023 emittierte Deutschland 10,1 Prozent weniger Treibhausgase (THG) als 2022. Das zeigen neue Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA). Gründe sind der gestiegene Anteil erneuerbarer Energien, ein Rückgang der fossilen Energieerzeugung und eine gesunkene Energienachfrage bei Wirtschaft und Verbrauchern. Insgesamt wurden 2023 in Deutschland rund 673 Millionen Tonnen THG freigesetzt – 76 Millionen Tonnen oder 10,1 Prozent weniger als 2022. Dies ist der stärkste Rückgang seit 1990. Insbesondere der Verkehrssektor muss beim Klimaschutz aber nachsteuern. Er verfehlt seine Klimaziele erneut deutlich und liegt 13 Millionen Tonnen über dem zulässigen Sektor-Budget.
UBA-Präsident Dirk Messner ordnet die Zahlen so ein: „Mit Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine hatten viele die Sorge, dass wir eine Renaissance der Kohle und anderer fossiler Energieträger sehen werden. Wir wissen heute, dass das nicht passiert ist. Das liegt vor allem am sehr erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist ein großer Schritt, der uns in den kommenden Jahren beim Klimaschutz helfen wird. Aber nicht in allen Sektoren stehen wir glänzend da.
Vor allem der Verkehrssektor bleibt weiter ein großes Sorgenkind. Hier muss dringend mehr passieren – etwa durch den Ausbau der Elektromobilität und den Abbau des Dienstwagenprivilegs und anderer klimaschädlicher Subventionen. Mit Blick auf das Jahr 2030 bin ich zuversichtlich, dass wir die nationalen Klimaziele einhalten können. Wir sind bereits ein großes Stück beim Klimaschutz vorangekommen. Zu Beginn der Legislaturperiode gingen wir für 2030 noch von 1.100 Millionen Tonnen THG zu viel aus. Jetzt sehen wir in unseren Projektionen für 2030, dass diese Lücke geschlossen werden wird, wenn wir weiter so ambitioniert am Klimaschutz arbeiten.“
Treibhausgas-Emissionen Energiewirtschaft
Im Sektor Energiewirtschaft sind die THG-Emissionen 2023 gegenüber dem Vorjahr um rund 51,8 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente bzw. 20,1 Prozent gesunken, was auf einen geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme zurückzuführen ist. Besonders stark war dieser Rückgang beim Einsatz von Braun- und Steinkohle sowie bei Erdgas. Gründe hierfür sind unter anderem die deutlich gesunkene Kohleverstromung, der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien und ein Stromimportüberschuss bei gleichzeitig gesunkener Energienachfrage. Weitere Treiber waren Energieeinsparungen in Folge von höheren Verbraucherpreisen sowie die milden Witterungsverhältnisse in den Wintermonaten.
Treibhausgas-Emissionen Industrie
In der Industrie sanken die Emissionen im zweiten Jahr in Folge auf rund 155 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2023. Dies entspricht einem Rückgang von fast 13 Mio. Tonnen oder 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt der Industriesektor mit rund 18 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente unter seiner Jahresemissionsmenge für 2023. Auch hier wird der Emissionsrückgang durch den gesunkenen Einsatz fossiler Brennstoffe, insbesondere von Erdgas und Steinkohle, bestimmt. Wichtige Treiber dieses Trends sind die negative konjunkturelle Entwicklung und gestiegene Herstellungskosten, die zu Produktionsrückgängen führten.
Treibhausgas-Emissionen Gebäude
Auch im Gebäudesektor konnte eine Emissionsminderung von 8,3 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten auf rund 102 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente (minus 7,5 Prozent) erreicht werden. Trotz dieser Minderung überschreitet der Gebäudesektor erneut die gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) erlaubte Jahresemissionsmenge, diesmal um rund 1,2 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente. Wesentliche Treiber für den Rückgang der Emissionen sind wiederum Energieeinsparungen aufgrund der milden Witterungsbedingungen in den Wintermonaten 2023 und höhere Verbraucherpreise. Auch der Zubau an Wärmepumpen wirkte sich positiv auf die Emissionsentwicklung im Gebäudebereich aus, da beispielsweise weniger Erdgas und Heizöl eingesetzt wurden.
Treibhausgas-Emissionen Verkehr
Im Verkehr wurden 2023 rund 146 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente ausgestoßen. Damit liegen die THG-Emissionen im Verkehrssektor rund 1,8 Mio. Tonnen (1,2 Prozent) unter dem Wert von 2022 und rund 13 Mio. Tonnen über der nach KSG für 2023 zulässigen Jahresemissionsmenge von 133 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente. Im Vorjahr waren die Emissionen noch leicht angestiegen. Angesichts der nur geringen Überschreitung im Gebäudesektor ist der Verkehr damit der einzige Sektor, der sein Ziel deutlich verfehlt und sich weiter vom gesetzlichen Zielpfad entfernt.
Haupttreiber des geringen Emissionsrückgangs sind dabei aber nicht etwa effektive Klimaschutzmaßnahmen, sondern die abnehmende Fahrleistung im Straßengüterverkehr. Verglichen mit 2022 hat der Pkw-Verkehr 2023 dagegen leicht zugenommen. Die im vergangenen Jahr neu zugelassenen Elektrofahrzeuge im Pkw-Bestand wirken hier leicht emissionsmindernd.
Dazu Bundesminister für Wirtschaft und Klimapolitik Robert Habeck: "Zum ersten Mal überhaupt zeigen die Zahlen: Deutschland ist auf Kurs – erstmals. Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030. Dann schließen wir die Klimaschutzlücke! Und das mit einer Wirtschaft, die sich wieder erholt. Das zeigt: Die Anstrengungen lohnen sich, unser Handeln macht einen Unterschied. Als ich 2021 mein Amt als Wirtschafts- und Klimaschutzminister übernommen habe, klaffte zwischen dem Ziel und den bisherigen Maßnahmen eine riesige Lücke von 1.100 Millionen Tonnen CO₂. Das Tempo des Klimaschutzes musste sich nahezu verdreifachen. Und es war zu Beginn dieser Regierungszeit mehr als unklar, ob wir es schaffen, auf Zielkurs zu kommen. Und jetzt können wir die Lücke schließen, wenn wir weiter intensiv daran arbeiten, die notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Dabei sind wir nicht in allen Sektoren gleich gut unterwegs – deshalb müssen wir uns in einigen Bereichen noch stärker anstrengen."
Projektionsdaten für das Jahr 2030
Aus den heute veröffentlichten aktuellen UBA-Projektionsdaten 2024 wird im Vergleich zum UBA-Projektionsbericht 2023 deutlich, dass die neuen Klimaschutzmaßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene ihre Wirkung entfalten können. Mit einem ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien bleiben die nationalen Klimaziele bis 2030 sektorübergreifend erreichbar. Die sogenannte kumulierte Jahresemissionsgesamtmenge zeigt sektorübergreifend bis 2030 sogar eine Übererfüllung von 47 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten. Dem Ziel, im Jahr 2030 die THG-Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, kommt Deutschland mit den aktuell vorgesehenen Maßnahmen demnach sehr nahe.
Wie die Emissionsdaten zeigen auch die aktuellen Projektionsdaten, dass die Klimaschutzanstrengungen in den einzelnen Sektoren unterschiedlich erfolgreich sind. So weist der Verkehrssektor bis 2030 eine kumulierte Minderungslücke von 180 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten auf. Im Sektor Gebäude werden bis 2030 wiederum 32 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente mehr emittiert als vorgesehen. Dahingegen übertrifft der Sektor Energiewirtschaft sein Emissionsziel um 175 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente, was maßgeblich auf einen gelungenen Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 basiert. Auch der Sektor Industrie übertrifft laut Projektionsdaten seine gesetzlichen Vorgaben um 37 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente, dabei geht in den kommenden Jahren die Erholung der Industrie einher mit ihrer Dekarbonisierung. Die Sektoren Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges übererfüllen ihre Ziele um 29 Mio. Tonnen, bzw. um 17 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente.
Zu den Daten
Die vorliegenden Emissionsdaten für das Jahr 2023 stellen die gegenwärtig bestmögliche Berechnung dar. Sie sind insbesondere aufgrund der zu diesem Zeitpunkt nur begrenzt vorliegenden statistischen Berechnungsgrundlagen mit entsprechenden Unsicherheiten verbunden. Die Berechnungen leiten sich aus einem System von Modellrechnungen und Trendfortschreibungen der im Januar 2024 veröffentlichten detaillierten Inventare der THG-Emissionen des Jahres 2022 ab. Die vollständigen, offiziellen und detaillierten Inventardaten zu den THG-Emissionen in Deutschland für das Jahr 2023 veröffentlicht das UBA im Januar 2025 mit der Übermittlung an die Europäische Kommission.
DUH: Porscheminister Wissing hat geliefert, Robert Habeck präsentiert's als Erfolg
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert massiv den heute von Bundesregierung und Umweltbundesamt (UBA) vorgestellten Emissions- und Projektionsbericht. Er enthalte an diversen Stellen „Tricks und Täuschungen“. So rechnet der Bericht sogar Maßnahmen positiv auf die Klimabilanz an, die bereits vor Monaten abgesagt wurden und definitiv nicht kommen werden. Das gilt etwa im Gebäudebereich, in dem Maßnahmen bereits beim letzten Baugipfel gestrichen wurden oder für den Klimatransformationsfonds, durch den nach dem Verfassungsurteil etliche Klimaschutzprojekte nicht mehr finanziert werden.
Trotz all dieser Tricks muss der Bericht aber feststellen, dass die Bundesregierung weiterhin das Klimaschutzgesetz bricht. Erneut verfehlt sie die gesetzlichen Klimaschutzvorgaben für die Sektoren Verkehr und Gebäude für 2023 und kann sie auch keinesfalls bis 2030 einhalten. Demnach wurde im Gebäudesektor die festgelegte jährliche CO2-Obergrenze von 101 Millionen Tonnen um eine Million Tonnen CO2-Äquivalente überschritten. Im Verkehrssektor betrug die Überschreitung der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO2 sogar 13 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Bis 2030 kumuliert sich die Überschreitung im Gebäudebereich laut des geschönten Projektionsberichts auf 32 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, nach DUH-Rechnung beträgt die Überschreitung etwa 62 Millionen Tonnen. Im Verkehr summiert sich die Überschreitung auf 180 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Trotz Fortschritten bei den Erneuerbaren Energien drohen mit der aktuellen Erdgas-Strategie fossile Abhängigkeiten, die weit über 2030 hinausgehen. Durch die Verfehlung der im Klimaschutzgesetz verankerten CO2-Vorgaben ist die Bundesregierung abermals verpflichtet, Klimaschutzsofortprogramme vorzulegen, um die Emissionen in den Sektoren Verkehr und Gebäude schnellstmöglich zu reduzieren.
DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Die verbindlichen deutschen Emissionsgrenzen können 2030 nur erreicht werden, wenn mit aller Kraft die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Genau das ist aber nicht der Fall, wie das Umweltbundesamt selbst einräumt. Zahlreiche der eingerechneten Maßnahmen sind bereits vor Monaten abgesagt worden, nicht finanziert oder basieren auf äußerst optimistischen Annahmen. Solche Rechentricks verschleiern den Blick auf die wahre Problemlage. Und sie verstellen den Blick darauf, welche Anstrengungen und Entscheidungen noch nötig sind. So müssen bei der Genehmigung von Wind- und Solaranlagen dringend weitere Blockaden gelöst werden. Die Verdrängung der Kohle bei der Stromerzeugung droht zu einer weiteren Verlängerung fossiler Abhängigkeiten über das Jahr 2030 hinauszuführen – diesmal mit Erdgas. Den entstehenden Überkapazitäten beim Ausbau von LNG-Terminals und Gaskraftwerken muss daher schnellstmöglich ein Riegel vorgeschoben werden. Die Transformation der energieintensiven Industrie kommt nur dann voran, wenn die neu eingeführten Klimaschutzverträge konsequent auf die Ersetzung von Erdgas durch erneuerbare Energiequellen setzen.“
DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz: „Die heute veröffentlichten Zahlen für den Gebäudesektor haben jeglichen Bezug zur politischen Realität verloren und verschleiern den enormen Handlungsdruck im Sektor. Während die Bauministerin noch am Dienstag ihre Blockade der Mindesteffizienzstandards für Wohngebäude auf EU-Ebene öffentlich feiert, tauchen sie heute wundersamerweise im Projektionsbericht auf – eine Farce. Genau jetzt müsste die Bundesregierung endlich eine wirksame Sanierungsoffensive umsetzen, um den Energiebedarf unserer Gebäude klimafreundlich und sozialverträglich zu senken, anstatt sich für ihre angeblichen Klimaerfolge feiern zu lassen. Zudem ist ein Einbaustopp von fossilen Heizungen längst überfällig, denn jede neue Öl- oder Gasheizung wirft uns nicht nur im Hinblick auf die Klimaziele zurück, sondern bringt auch erhebliche finanzielle Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher mit sich. Die sofortige Freigabe der erneuerbaren Heizungsförderung muss daher absolute Regierungspriorität einnehmen. Die Erreichung der übergreifenden Klimaziele 2030 ist ohne ein sofortiges Umsteuern im Gebäudesektor und der Vorlage von wirksamen Sofortprogrammen nicht möglich.“
Nachdem jahrelang effektive Maßnahmen für beide Sektoren verweigert wurden, hat die DUH am 30. November 2023 vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein Urteil erstritten, das die Bundesregierung zur Vorlage der gesetzlich vorgeschriebenen Klimaschutzsofortprogramme verpflichtet. Auch die Anfang März von der Bundesregierung eingelegte Revision gegen das Urteil entbindet sie nicht von bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen.
Dazu DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Porscheminister Wissing hat geliefert und Robert Habeck präsentiert auch noch den bis 2030 nun regierungsamtlich geplanten Anstieg der CO2-Lücke im Verkehrssektor auf 180 Millionen Tonnen als erfolgreiche Klimaschutzpolitik. Was für eine Verhöhnung der Kinder und Jugendlichen, die 2020 mit unserer Unterstützung und stellvertretend für ihre Generation die Verschärfung des Klimaschutzgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt haben und die nun erleben, wie ein grüner Klimaschutzminister dessen Kastrierung auch noch als Ziel seines Handelns darstellt. Am 16. Mai werden wir das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung in der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg juristisch bewerten lassen. Und auch das Bundesverfassungsgericht hat sich diese Woche zur parallel eingelegten Verfassungsbeschwerde geäußert und eine Entscheidung noch in diesem Jahr angekündigt. Anstelle billiger Taschenspielertricks brauchen wir reale Maßnahmen. Allein mit einem Tempolimit könnten jährlich 11 Millionen Tonnen CO2 eingespart und damit die Klimaschutzlücke erheblich verringert werden. Doch statt effektiver Maßnahmen sehen wir massive Mittelkürzungen beim Schienenverkehr und lesen von Träumereien vom klimaneutralen Fliegen. Die Förderung von Plug-In-Hybriden, die im Realbetrieb massiv erhöhte CO2-Emissionen aufweisen, wird derweil als Klimaschutzmaßnahme angepriesen. Es ist nicht erkennbar, wie die Bundesregierung dem aktuellen Abwärtstrend bei der Neuzulassung von E-Autos begegnen will – laut Projektionsbericht plant die Bundesregierung für 2030 statt mit 15 Millionen E-Autos nur noch 8 Millionen.“
Agora Energiewende: Deutschland braucht mehr Klimaschutz im Verkehrs- und Gebäudesektor
Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland: „Das Erreichen der Klimaziele 2030 setzt weiterhin erhebliche Anstrengungen beim Klimaschutz voraus. Deshalb muss die Bundesregierung dringend Klimaschutzinstrumente umsetzen, die die Emissionen in allen Sektoren nachhaltig senken – auch im Verkehr und in Gebäuden. Die Rechnung, dass andere Sektoren die Versäumnisse in den Problembereichen Verkehr und Gebäude ausgleichen, birgt erhebliche Risiken: Erstens ist ein überwiegender Teil der Treibhausgasminderung von Kraftwerken und Industrie im Jahr 2023 krisenbedingt und damit nicht langfristig gesichert. Eine wirtschaftliche Erholung kann die Einsparungen in diesen Bereichen wieder dämpfen. Damit schrumpft der Spielraum, um die jährlichen Minderungsziele trotz fehlender Klimafortschritte bei Gebäuden und Verkehr zu erreichen. Zweitens geht Deutschland das Risiko von Strafzahlungen an die EU ein, wenn es die europarechtlich festgelegten Effort-Sharing-Minderungsziele für Gebäude und Verkehr verfehlt.
Zugleich sind die Auswirkungen des Karlsruher Haushaltsurteils in der Projektion noch nicht berücksichtigt. Nur wenn die langfristige Finanzierung klimaschützender Maßnahmen sichergestellt ist und so Zukunftsinvestitionen ermöglicht werden, kann Deutschland seine 2030-Ziele auch wirklich erreichen.“
Die Prognose des Umweltbundesamt (UBA) zum Treibhausgasausstoß Deutschlands im Jahr 2023 bestätigen die zu Jahresbeginn veröffentlichten Zahlen zu den Gesamtemissionen von Agora Energiewende. Bei der Prognose des UBA für die Emissionen 2023 handelt es sich zum jetzigen Zeitpunkt ebenso wie bei der Emissionsbilanz von Agora Energiewende um eine Hochrechnung auf Basis vorläufiger statistischer Daten.
Repräsentanz Transparente Gebäudehülle: Diese Zahlen sind kein Erfolg
Die Repräsentanz Transparente Gebäudehülle (RTG), die die Bauindustriebranchen Glas, Fenster, Fassade, Sonnenschutz und Automation vertritt, wertet die Zahlen nicht als Erfolg: „Milde Witterung und sparsames Heizen sind vergängliche Effekte. Strukturell gibt viel zu wenig Verbesserung – im Gegenteil: Die Sanierungsrate ist zuletzt spürbar gesunken“, erklärt Drinkuth. „Durch mehr Sanierungsmaßnah-men, vor allem bei alten Gebäuden mit hohem Energieverbrauch, wäre ein nachhaltiger Klimaschutz möglich. Dafür müsste die Bundesregierung dringend bessere Rahmenbedingungen schaffen.“
Nach dem geltenden Klimaschutzgesetz müsste die Bundesregierung auf Grund des verfehlten Ziels nun ein wirksames Sofortprogramm für mehr Klimaschutz im Gebäudesektor vorlegen. Doch das hat sie schon im vergangenen Jahr nicht getan. Stattdessen überarbeitet die Ampelkoalition derzeit das Klimaschutzgesetz und weicht die darin enthaltene Regulierung auf. Laut einem bereits 2023 bekannt gewordenen Entwurf will die Regierung sich nicht mehr auf sektorspezifische Jahresziele verpflichten. In Zukunft soll nur noch eine mehrjährige Prognoseberechnung überprüfen, ob das Gesamtklimaschutzziel im Jahr 2030 weiterhin erreichbar bleibt. Eine Verfehlung der Sektorziele hätte dann keine Konsequenzen mehr. Die Gebäudesanierung dürfte weiterhin auf der Strecke bleiben, solange die Energiewirtschaft oder die Industrie ihre Emissionsziele übererfüllen.
Das hält die Branchenvertretung RTG jedoch für gefährlich: „Die Bundesregierung argumen-tiert, es sei für den Klimaschutz nachrangig, welche Sektoren ihre Jahresziele unter- oder überfüllen - solange das Gesamtziel der Emissionsminderung in der Prognose erreicht werde. Dabei übersieht sie zwei wesentliche Aspekte: Erstens ist das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 nur mit erheblich mehr Gebäudesanierung zu erreichen. Alle Klimaszenarien gehen davon aus, dass die Sanierungsrate von aktuell gut 0,7% auf mindestens 1,6%, eher auf ca. 2% steigen muss. Denn der heutige Energiebedarf ist so hoch, dass erneuerbare Energien ihn niemals decken können. Es kommt also sehr wohl auf konkrete Erfolge im Gebäudesektor an. Zweitens lassen sich Sanierungen, die jetzt versäumt werden, nicht später im Galopp nachholen. Gebäudesanierung funktioniert nur kontinuierlich. Statt also mit der Abschwächung des Gesetzes den Druck vom Kessel zu nehmen, müsste die Bundesregierung eigentlich den Sa-nierungsturbo zünden“, fordert Drinkuth.
Die Optionen, politisch dagegen zu steuern sind vorhanden und vielfältig, werden jedoch der Branchenvertretung RTG zu Folge nicht ausreichend genutzt. Primär müssten die Förderanreize für alle Eigentümergruppen deutlich verbessert werden. Insbesondere seien höhere Zuschüsse und attraktivere Steuerabschreibungen in Kombination mit zinsgünstigen Krediten notwendig, um kurzfristig einen starken Impuls zu setzen. Besonders starke Unterstützung durch Förderung, Information und Beratung müsste für die Sanierung alter Gebäude mit hohem Energiebedarf geleistet werden. Ergänzend sei sehr eine schnelle und konsequente Umsetzung der Europäischen Gebäuderichtlinie, die bereits vom Europaparlament final beschlossen wurde, wichtig.
Nicht zuletzt: Bei der Klimaschutzregulierung künftig stärker auf eine Prognose als Ziel zu setzen, sei grundsätzlich nicht falsch. Dennoch müsse man die einzelnen Sektoren im Blick behalten und verbindlich nachsteuern, wenn der Kurs nicht stimmt.
Initiative Klimaneutrales Deutschland: Gebäude und Verkehr bleiben Sorgenkinder
Carolin Friedemann, Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND):
„Die nunmehr seit über einem Jahr anhaltende politische Diskussion um die Novellierung des Klimaschutzgesetzes scheint für die verantwortlichen Ministerien ein Freifahrtschein fürs Nichtstun zu sein. Bei Gebäude und Verkehr gibt es nach wie vor keine nennenswerten Einsparungen. Dabei sind die Chancen gerade im Gebäudesektor für Wirtschaft, Verbraucher und Umwelt vor allem durch energetische Gebäudesanierung groß, wie eine Studie in unserem Auftrag kürzlich gezeigt hat. Würde jetzt Sanierung im großen Maßstab angereizt werden, würde das der Bauwirtschaft helfen, Auftragslücken zu überwinden und Arbeitsplätze zu erhalten.“