Keine Steuernachteile bei fehlerhaften Rechnungen
Viele Rechnungen bergen für den Empfänger enormen Sprengstoff. Schon bei kleinen formalen Fehlern können Betriebsprüfer den sicher geglaubten Vorsteuerabzug streichen. Zwar ist eine Rechnungskorrektur möglich. Doch bislang gewähren Finanzämter den Vorsteuerabzug erst ab dem Zeitpunkt, zu dem eine korrigierte Rechnung vorliegt. Die Folge: Es drohen Nachzahlungen, die sich samt Zinsen schnell auf hohe Beträge summieren.
Die aktuelle Rechtsprechung eröffnet Unternehmen die Möglichkeit eines rückwirkenden Vorsteuerabzugs. Betroffene sollten ihre Rechte kennen und konsequent durchsetzen.
Zwei aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schieben der bisherigen Praxis der deutschen Finanzverwaltung bei der Rechnungskorrektur einen Riegel vor (Az. C-516/14 und C-518/14). Die Richter geben grundsätzlich grünes Licht für einen rückwirkenden Vorsteuerabzug. Sie sind der Ansicht, dass die Rückwirkung nicht zwingend von einer formal richtigen Rechnung abhängen darf. Auch wenn einzelne Pflichtmerkmale wie eine konkrete Leistungsbeschreibung, der genaue Leistungszeitpunkt oder die Steuernummer des Rechnungsstellers fehlen, ist der Empfänger laut EuGH zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Voraussetzung ist, dass in dem Jahr, für das der Vorsteuerabzug beantragt wird, die sogenannten „materiellen Anforderungen“ erfüllt sind. Das heißt: Der Rechnungsempfänger ist steuerpflichtiger Unternehmer und hat von einer steuerpflichtigen Firma eine Ware oder Dienstleistung erhalten, die er für sein Unternehmen verwendet. Dies muss er anhand anderer Dokumente wie etwa Lieferscheine oder Kontoauszüge belegen können. Zudem ist unabdingbar, dass eine Erstrechnung vorliegt und eine Rechnungskorrektur erfolgt. Die Richter lassen jedoch offen, ob eine fehlerhafte Erstrechnung bestimmten Mindestanforderungen entsprechen muss.
Der Bundesfinanzhof (BFH) folgt in einem aktuellen Urteil (Az. V R 26/15) dem EuGH. Rechnungsempfänger haben Anspruch auf rückwirkenden Vorsteuerabzug aus korrigierten Rechnungen. Jedoch definieren die BFH-Richter konkrete formale Mindestanforderungen an eine Erstrechnung. Auf dem Dokument dürfen Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt und gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nicht fehlen.
Das können betroffene Betriebe tun
Noch setzt die Finanzverwaltung die neue Rechtsauffassung nicht um.
- Lehnt das Finanzamt einen rückwirkenden Vorsteuerabzug aus korrigierten Rechnungen ab, sollten Unternehmen die Möglichkeit eines Einspruchs oder Änderungsantrags mit Verweis auf die EuGH- und BFH-Urteile prüfen.
- Gute Aussichten haben Firmen, wenn Steuerbescheide noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, offengehalten wurden oder die Einspruchsfristen noch nicht abgelaufen sind.
- Selbst bei bestandskräftigen Bescheiden muss ein abgelehnter Vorsteuerabzug nicht das letzte Wort sein. Ob auch hier Anspruch auf rückwirkenden Vorsteuerabzug besteht, ist rechtlich unklar.
Betroffene Firmen sollten mit ihren Fachberatern erörtern, welche Handlungsoptionen sich bieten.
So werden Rechnungen korrigiert
- Eine Rechnungskorrektur erfolgt immer durch den Rechnungssteller.
- Empfänger sollten darauf achten, dass fehlerhafte oder fehlende Angaben immer mit einem gesonderten Ergänzungsdokument berichtigt werden. Es genügt ein einfaches Schreiben, das sich eindeutig auf die Rechnung bezieht sowie die ursprüngliche Rechnungsnummer und das Rechnungsdatum nennt.
- Auf gar keinen Fall sollte die ursprüngliche Rechnung storniert und neu ausgestellt werden. Schnell ist das Ursprungsdokument steuerlich nicht mehr von Belang und das Finanzamt könnte das neue Dokument als Erstrechnung werten. Ein rückwirkender Vorsteuerabzug wäre in diesem Fall ausgeschlossen.
Die Frage, bis wann Unternehmen eine Rechnungsberichtigung spätestens vornehmen müssen, hatte der EuGH offen gelassen. Der BFH sogt in seinem aktuellen Urteil mit einer steuerzahlerfreundlichen Regelung für Klarheit. Rechnungsempfänger können korrigierte Rechnungsdokumente noch bis zum Abschluss einer mündlichen Verhandlung vorlegen.
Die aktuelle Rechtsprechung hat für Rechnungsempfänger auch eine Kehrseite: Zwar fallen bei einer rückwirkenden Korrektur keine Nachzahlungszinsen an. Gleichwohl könnte die Finanzverwaltung laut EuGH Firmen für den Vorsteuerabzug aus formal falschen Rechnungen künftig sanktionieren, etwa in Form einer Geldbuße. Zudem sind Rechnungskorrekturen für alle Beteiligten stets mit enormem Aufwand verbunden. Unternehmen sollten Vorkehrungen treffen, um Korrekturen von vornherein zu vermeiden. Daher ist eine systematische Eingangskontrolle von Rechnungen nach wie vor das A und O.
Die Autorin: Martina Dapper, Steuerberaterin der Kanzlei WWS in Mönchengladbach