Was braucht es für das richtige Lernklima? Lüftungskonzepte für Schulen und Bildungsstätten
Spätestens im Sommer 2020 wurde klar, dass sich Coronainfektionen nicht nur durch Kontakte und Tröpfchen übertragen, sondern wesentlich auch durch Aerosole. Diese setzen sich, einmal von einem Infizierten ausgestoßen, nicht schnell ab, sondern schweben längere Zeit in der Luft. Dadurch können sie in Innenräumen (bei den hier vorherrschenden Innenraumparametern Temperatur, Feuchte, Licht) über größere Distanzen übertragen werden.
Im Freien wird das Infektionspotenzial schnell reduziert, sodass Außenluft als infektionsfrei anzusetzen ist. Dies macht sich die AHA+L-Regel zunutze, die die AHA-Vorgaben ergänzt: Durch ausreichende Lüftung ist die Anzahl der infektiösen Aerosole möglichst weit zu verringern. Dies ist die Basis der aktuell geltenden Verhaltensregeln für das Lüften über Fenster. Besonders intensiv wurden die Regeln für Räume mit hoher Belegungsdichte diskutiert, vor allem
für Klassenzimmer.
Im Zusammenhang mit der möglichen Übertragung von Coronainfektionen kam das eigentlich längst bekannte und immer wieder verdrängte Problem der mangelhaften Belüftung von Klassenzimmern [1, 2] plötzlich auf die Tagesordnung aller Beteiligten. Schon in Zeiten ohne Corona sendeten in Klassenräumen gemessene CO2-Werte ein Alarmsignal: Meist übersteigen sie die Warnstufen des Umweltbundesamts (UBA) von 1000 bis 2000 ppm und erreichen Werte über 3000 ppm (Bild 2).
Erste Hilfe mit einfachen Maßnahmen
Schnell wurden Empfehlungen für die Lüftung ausgesprochen, um die CO2-Belastung und damit auch die Aerosole, die von potenziell infizierten Personen ausgestoßen werden, auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Als Richtgröße dienen die schon lange bekannten Werte von 800 bis 1000 ppm. Durch manuelles Fensterlüften lassen sich diese Werte nur mit viel Disziplin aufrechterhalten: Sämtliche Fenster müssen mindestens alle 20 Minuten für eine Dauer von 3 bis 10 Minuten
geöffnet werden [3].
Gekippte Fenster und geöffnete Türen werden wegen mangelhafter Lüftungsrate oder wegen der Gefahr einer unkontrollierten Verteilung von Aerosolen als untauglich eingestuft. Das ausreichende Fensterlüften hat aber schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, weil es den Unterricht stört, weil es im Winter zieht, weil es draußen zu laut ist oder weil es ganz einfach vergessen wird. Nun sollen Messgeräte und Lüftungsampeln die Schüler und Lehrer ans Lüften
erinnern (Bild 3).
Eine weitere Lösungsoption für eine schnelle Nachrüstung sind mobile oder fest installierte Sekundärluftfilter und -reiniger (Bild 4), die die Luft aus dem Klassenzimmer entnehmen, die Aerosole aus der Luft mit geeigneten Luftfiltern filtern oder abtöten und damit die Anzahl der möglicherweise infektiösen Aerosole verringern.
Insbesondere in Südostasien wird diese Methode schon lange häufig eingesetzt, um in Wohngebäuden die Feinstaubbelastung zu reduzieren.
Bei richtiger Dimensionierung können diese Geräte auch die Aerosolbelastung in Klassenräumen reduzieren. Innerhalb kurzer Zeit stellte die Industrie geeignete Geräte mit Schwebstofffiltern für Klassenzimmer zur Verfügung [4]. Auch die UV-C-Desinfektion und weitere Verfahren sind prinzipiell für die Deaktivierung von infektiösen Aerosolen
geeignet.
Lüftungsanlagen als nachhaltige Lösung
Die nachhaltigste Methode, Klassenräume ausreichend zu lüften, sind Lüftungsanlagen mit reinem Außenluftbetrieb und Wärmerückgewinnung (Bild 1). Dabei ist eine bedarfsgerechte Luftvolumenstromregelung heute Standard und bei Anlagen ab 4000 m³/h und 9 m³/(h·m²) nach Gebäudeenergiegesetz (GEG) §67 Pflicht.
Die Geräte und Anlagen sind etabliert und stehen schon viele Jahre zur Verfügung. Schulen wurden aber nur selten damit ausgerüstet. Als Begründung wurden oft die Kosten angeführt, die jedoch kein Hindernis sein müssen. Auch für die schnelle und kostengünstige Nachrüstung stehen viele Geräte zur Verfügung [5].
Lüftungsanlagen mit Bedarfsregelung und Wärmerückgewinnung stellen eine gute Lüftung sicher und sparen gleichzeitig auch noch Heizenergie ein. Gesundheit und Klimaschutz mit einem System. Diese Anlagen brauchen Strom, das ist richtig, jedoch wird der Stromverbrauch in Relation zur Heizenergieeinsparung meist vollkommen falsch eingeschätzt.
Mit einer kWh Strom werden im Jahresmittel 7 bis 10 kWh Wärme zurückgewonnen. Dies entspricht einer Jahresarbeitszahl von 7 bis über 10 und kann damit Werte erreichen, die doppelt so hoch wie die Jahresarbeitszahl der effizientesten Wärmepumpen sind.
Abluftventilatoren unzureichend
Seltsamerweise gibt es auch eine Renaissance von Fenster-, Wand- und Dachventilatoren verschiedenster Arten, die eher an die 1970er-Jahre erinnern als an moderne und nachhaltige Lüftungstechnik, die bei hoher Energieeffizienz gute Raumluftbedingungen für Menschen schafft. In der Pandemie sollen Klassenräume möglichst schnell mit möglichst viel Luft versorgt werden. Das ist zunächst nicht falsch, aber auch in Schulen haben Provisorien oft sehr lange Bestand und verhindern dadurch am Ende nachhaltige Lösungen.
Reine Abluftventilatoren benötigen immer eine ausreichend dimensionierte Nachströmung oder geöffnete Fenster. Bei niedrigen Außentemperaturen wird es dort sehr unkomfortabel. Geöffnete Türen sind wegen der möglichen Verschleppung von Aerosolen keine geeignete Alternative. Auch die Bereiche in der Nähe von Zuluftventilatoren ohne Nacherwärmung sind bei Außentemperaturen unter 8 bis 10 °C aus Komfortgründen nicht für den dauerhaften Aufenthalt von Personen geeignet.
Auslegung von Lüftungssystemen für Klassenzimmer
Als einfache Richtschnur für die Auslegung von Lüftungsanlagen sind 30 m³/h pro Person ein guter Wert. In der Vergangenheit wurden Lüftungsanlagen in Klassenzimmern auch mit geringeren Außenluftvolumenströmen von 15 bis 20 m³/h und Person dimensioniert.
Schon lange ist bekannt, dass das Raumvolumen und die Lüftungseffizienz zu den Faktoren gehören, die einen wesentlichen Einfluss auf die empfundene Luftqualität haben und in ähnlicher Weise auch auf die Verringerung des Infektionsrisikos. Es ist also auch wichtig, die Raumgeometrie und die Raumströmung zu
berücksichtigen.
In der DIN EN 16798-1 „Energetische Bewertung von Gebäuden – Lüftung von Gebäuden – Teil 1“, die seit April 2021 die DIN EN 15251 ersetzt, sind eigentlich schon fast alle notwendigen Parameter für die Auslegung von Lüftungsanlagen spezifiziert. Dies gilt sowohl für natürliche wie auch für ventilatorgestützte Lüftungsanlagen. Die Prinzipien sind mit wenigen Anpassungen auch für die Auslegung unter Corona-Randbedingungen geeignet.
Folgende Festlegungen sind geeignet, eine ausreichende Lüftung auch während der Pandemie mit +L zu dokumentieren:
- DIN EN 16798-1 Kat I:
Hohe Luftqualität, empfohlen für Räume und Nutzungen, die auch in Pandemiezeiten eine umfängliche Lüftung mit Außenluft sicherstellen.
Eine maximale CO2-Konzentration von 800 ppm wird sicher eingehalten.
Diese Kategorie erfüllt auch in der Pandemie die einschlägigen +L-Hygiene-Empfehlungen zur Verringerung
von Aerosolen. - DIN EN 16798-1 Kat II:
Normale Luftqualität, bei der eine maximale CO2-Konzentration von 1000 bis 1200 ppm sicher eingehalten wird. Für normale Nutzungsszenarien wird damit eine gute Raumluftqualität sichergestellt. In Pandemiezeiten werden aber ohne zusätzliche Maßnahmen die einschlägigen Empfehlungen der Hygiene nicht vollumfänglich erfüllt. - DIN EN 16798-3 Kat III:
Akzeptable Luftqualität, empfohlen für Räume und Nutzungen, in denen für normale Nutzungsszenarien die Mindestanforderungen an die Luftqualität sichergestellt werden. Eine maximale CO2-Konzentration von etwa 1500 ppm wird eingehalten. In Pandemiezeiten werden aber damit ohne zusätzliche Maßnahmen die einschlägigen Empfehlungen der Hygiene nicht erfüllt.
Weitere Details sind im Status-Report 52 des Fachverbands Gebäude-Klima (FGK) nachzulesen [6]. In der SBZ 7-21 ist dazu ein Fachbeitrag des Autors erschienen
(→ www.bit.ly/sbz043).
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Kat II eine gute Basis für die Auslegung von Lüftungsanlagen ist, die Kat I auch in der Coronapandemie eine ausreichende Lüftung sicherstellt und die Kat III nur die grundlegenden Luftqualitätsanforderungen erfüllt.
Die in Bild 5 geforderten Außenluftvolumenströme lassen sich allerdings noch differenzierter betrachten. Geeignete Filter und Deaktivierungstechnologien können die Anzahl infektiöser Aerosole in der Raumluft verringern, sie sorgen aber nicht für eine Verbesserung der empfundenen Luftqualität und schon gar nicht für eine Abfuhr der CO2-Emissionen. Allerdings kann man mit Blick auf die Pandemie für die Verringerung einer möglichen Virenlast in der Raumluft die Technologien natürlich kombinieren:
- Beispiel 1: Lüftungsanlage mit Außenluftvolumenstrom der Kat III, also 455 m³/h und zusätzlich ein Sekundärluftfilter mit HEPA-Filter mit einem Sekundärluftvolumenstrom von 715 m³/h also 1170 m³/h „virenfreier“ Luft entsprechend Kat I.
- Beispiel 2: Fensterlüftung zur Sicherstellung einer maximalen CO2-Konzentration von etwa 1500 ppm (entsprechend etwa 455 m³/h) in Kombination mit einem Sekundärluftfilter oder einer UV-C-Desinfektion und 715 m³/h Sekundärluftvolumenstrom.
Natürlich können auch differenziertere Auslegungsverfahren angewendet werden, um spezielle Fragen möglicher Randbedingungen zu berücksichtigen (siehe Infokasten Auslegungstools). Auch ein 5-facher Luftwechsel wird häufig als Option für eine ausreichende Auslegung genannt.
Grundsätzlich gilt aber, dass beim Einsatz von Sekundärluftfiltern immer eine ausreichende Belüftbarkeit des Raums sichergestellt sein muss. Dies geht bei Fensterlüftung eigentlich nur durch die Kontrolle mit geeigneten CO2-Messgeräten.
Akustische Anforderungen
Aus Gründen der Sprachverständlichkeit soll der Schalldruckpegel (Hintergrund) 35 dB(A) nicht überschreiten. Dies gilt sowohl für lüftungstechnische Anlagen wie auch für Geräusche, die zum Beispiel durch geöffnete Fenster im Raum zu hören sind. Der Wert ist in der Praxis nicht einfach zu bestimmen und auch nicht in jedem Fall einfach einzuhalten. Insbesondere unter den erhöhten Anforderungen an die einzuhaltenden Luftvolumenströme in der Pandemie.
Für die Praxis in Klassenzimmern hat sich folgende Abschätzung bewährt: Der maximal zulässige Schalldruckpegel im Raum, also 35 dB(A), plus 8 dB Raumdämpfung ergibt einen einzuhaltenden Schallleistungspegel der Geräte im Raum von 43 dB(A) beim geforderten Auslegungsluftvolumenstrom.
In unseren Beispielen 1 und 2 also 43 dB(A) Schallleistungspegel bei 715 m³/h Luftvolumenstrom. Die oben genannten Optionen für die Kombination helfen auch bei der Einhaltung der geforderten Schallpegel.
Förderungen
Schon lange werden Lüftungsanlagen mit Außenluft z. B. in Schulen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert. Die Projektträgerschaft ist zum 1. Januar 2022 auf die Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH übergegangen. Für die Sanierung und Nachrüstung raumlufttechnischer Anlagen werden Ausgaben bezuschusst für
- raumlufttechnische Geräte mit Wärmerückgewinnung,
- Zu- und Abluftsysteme, bestehend aus einem Luftleitungsnetz und ihren Einbauten,
- Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, um die raumlufttechnischen Geräte
direkt zu steuern.
Der Zuschuss für Anlagen beträgt derzeit 25 bis 40 % der förderfähigen Gesamtausgaben (→ www.bit.ly/sbz044).
Über die Bundesförderung für effiziente Gebäude – Einzelmaßnahmen (BEG EM) werden unter anderem Einbau, Austausch oder Optimierung raumlufttechnischer Anlagen inklusive Wärmerückgewinnung gefördert (→ www.bit.ly/sbz045).
Die Bundesförderung Corona-gerechte stationäre raumlufttechnische Anlagen und Zu-/Abluftventilatoren mit attraktiven Förderquoten von bis zu 80 % kann leider nicht mehr beantragt werden. Auch die Förderprogramme der meisten Länder für Sekundärluftreinigungsgeräte sind ausgelaufen.
Auslegungstools rund um die Coronalüftung
- GK, Lebensmittel-Luft.info:
+L-App zum einfachen Nachweis des lüftungstechnischen Infektionsschutzes nach Status-Report 52
→ www.bit.ly/sbz52 - Hermann-Rietschel-Institut, TU Berlin:
COVID-19-Infektionsrisiko auf Basis des CO2-Gehalts
→ www.bit.ly/sbz53 - Hermann-Rietschel-Institut, TU Berlin:
COVID-19-Infektionsrisiko durch Aerosole
→ www.bit.ly/sbz54 - RWTH Aachen:
Online-Tool RisiCo
→ www.bit.ly/sbz55 - Bayerischer Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Bayern, Fraunhofer, vbw:
Reine Luft Konfigurator
→ www.bit.ly/sbz57 - BGN Berufsgenossenschaft Nahrung und Gastgewerbe:
BGN Lüftungsrechner Online
→ www.bit.ly/sbz59
Mindestanforderungen an die maschinelle Schullüftung
Ein gemeinsames Dokument führender Verbände aus der Lüftungs- und Klimatechnik (BTGA, FGK, RLT-Herstellerverband, VDI, VDMA Allgemeine Lufttechnik) fasst die minimalen Anforderungen an maschinelle Schullüftungssysteme
zusammen, die beim Entwurf von Förderprogrammen oder offiziellen Richtlinien
berücksichtigt werden sollten:
- Außenluftvolumenstrom > 25 m³/h pro Person im Raum
- Schallleistungspegel < 43 dB(A)
- Verpflichtender Einsatz von Wärmerückgewinnung
- Außenluftfilter mindestens ePM1 50 % gemäß ISO 16890
- Verpflichtende bedarfsorientierte Einzelraumregelung
- Behagliche und vollständige Raumströmung
Die Anforderungen beziehen sich auf typische Klassenräume mit ca. 30 Schülern und einer Größe von 50 bis 90 m². Außerdem wird von einer für Klassenräume typischen Aktivität ausgegangen.
Das Grundsatzpapier steht auf der Website des FGK zur Verfügung:
→ www.bit.ly/sbz60
Literatur
[1] Hellwig, R.T.; Antretter, F.; Holm, A.; Sedlbauer, K.: Untersuchungen zum Raumklima und zur Fensterlüftung in Schulen. Bauphysik 31 (2009), Heft 2, S. 89–98
[2] UBA: Leitfaden für die Innenraumhygiene in Schulgebäuden, 2008
→ www.bit.ly/sbz46
[3] UBA: Empfehlung „Richtig lüften in Schulen“, 22.12.2021
→ www.bit.ly/sbz047
[4] FGK: Marktübersicht Sekundärluftreinigungsgeräte
→ www.bit.ly/sbz48
[5] FGK: Marktübersicht Einzelraumlüftungsgeräte
→ www.bit.ly/sbz49
[6] FGK-Status-Report 52, Anforderungen an Lüftung und Luftreinigung zur Reduktion des Infektionsrisikos über den Luftweg AHA + Lüftung
→ www.bit.ly/sbz50
Dieser Artikel von Claus Händel erschien zuerst in SBZ-Ausgabe 08/2022. Dipl.-Ing. Claus Händel ist technischer Referent beim Fachverband Gebäude-Klima e. V. in Bietigheim-Bissingen.