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Hocheffizient: Urbane Wärmewende mit Abwasser

Tim Geßler

In Berlin-Karlshorst wird ein generationengerechtes Mehrfamilienhaus inklusive angrenzender Altbaubestände hocheffizient mit Wärme versorgt. Dort dient öffentliches Abwasser als Wärmequelle für eine Wärmepumpenkaskade mit fast 400kW Heizleistung. Die sehr gute Jahresarbeitszahl (JAZ) liegt bei rund 6. Damit werden rund 35t CO2 pro Jahr gegenüber einer Gasheizung eingespart.

Im Abwasser steckt eine große Menge Wärmeenergie, die in Deutschland vielerorts ungenutzt in der Kanalisation verloren geht. Wie sich diese nutzen lässt, zeigt ein Projekt der Wohnungsbaugenossenschaft EVM Berlin eG. Im Fürstenberg-Kiez in Berlin-Karlshorst ist zwischen 2014 und 2016 ein Mehrgenerationenhaus mit unter anderem knapp 80 Wohnungen entstanden, das von einer Kaskade mit sechs Sole/Wasser-Wärmepumpen von Stiebel Eltron beheizt wird.

Als Wärmequelle dient die Abwärme der öffentlichen Abwasser-Druckleitung, die in der angrenzenden Straße verläuft. Zusätzlich liefert die Wärmepumpenanlage die Grundlast für 40 Wohnungen in einem Altbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Sommer 2024 wurde zudem ein weiterer Altbau mit 78 Wohnungen angeschlossen.

Jahresarbeitszahl von durchschnittlich 6,0

Seit rund sieben Jahren ist die Anlage nun in Betrieb und erreichte von Anfang an einen hohen Nutzungsgrad. „Durch die hohe Effizienz der Sole/Wasser-Wärmepumpen und die ganzjährig guten Quellentemperaturen hatten wir in der Planung eine sehr gute Jahresarbeitszahl von 6,0 prognostiziert“, erläutert Patrick Faika von Stiebel Eltron, der das Projekt maßgeblich begleitet hat.

Diese Prognose lässt sich inzwischen auch in der Praxis bestätigen. „Während der ersten Heizperiode erzielte die Anlage schon eine Jahresarbeitszahl von 5,4. Durch Nachjustierungen im laufenden Betrieb, wie die Durchführung eines hydraulischen Abgleichs und die Absenkung der Vorlauftemperatur, konnten wir diesen Wert aber nochmal übertreffen. Inzwischen hat sich die Jahresarbeitszahl zwischen 5,9 und 6,1 eingependelt“, berichtet Sandra Albrecht, die bei der EVM Berlin eG für die technische Betreuung der Anlage zuständig ist.

Insgesamt können mit der Anlage pro Jahr rund 35 t CO2 gegenüber einer herkömmlichen Gasheizung eingespart werden. Auch die Betriebskosten fallen im Vergleich deutlich geringer aus, wovon in erster Linie die Bewohner profitieren. Torsten Knauer, Vorstand der EVM Berlin eG, wertet das umgesetzte Heizungskonzept als vollen Erfolg: „Wir sind absolut überzeugt von dieser innovativen Lösung und haben bereits das nächste Projekt in diesem Stil in Planung.
 

Wie Sandra Albrecht (mi.) von der EVM Berlin berichtet, hat sich die Jahresarbeitszahl zwischen 5,9 und 6,1 eingependelt. Entsprechend überzeugt ist Vorstand Torsten Knauer (re.) von der Lösung.

Auf Umwegen zur Abwasserwärme

„Grundsätzlich sind wir bei unseren Neubauprojekten immer auf der Suche nach innovativen Lösungen. Dabei ist uns wichtig, dass sie klimafreundlich, aber letztlich auch wirtschaftlich sind“, erläutert Knauer. Zu Beginn der Planungsphase erwog die Wohnungsbaugenossenschaft zunächst Fernwärme – doch das Baugebiet war hierfür nicht erschlossen. Unabhängig vom geplanten Bauvorhaben brachte das Ingenieurbüro Lang aus Berlin erstmals die Nutzung von Abwasserwärme als Wärmequelle ins Spiel.

„Die Lösung hat uns auf Anhieb überzeugt und wir haben überlegt, wo wir ein entsprechendes Projekt umsetzen könnten. Da wir aber ursprünglich die Information erhalten hatten, dass im Umfeld unseres geplanten Neubaus keine nutzbare Abwasser-Druckleitung existieren würde, haben wir Abwasserwärme hier gar nicht erst in Betracht gezogen“, berichtet Knauer. Die Genossenschaft sah sich daher nach einer alternativen Heizungslösung um und fasste dabei Erdwärmepumpen ins Auge.

„Als dann die Bestandspläne vom Katasteramt auf dem Tisch lagen, waren wir überrascht: Da war eine Abwasser-Druckleitung direkt in der angrenzenden Straße eingezeichnet. Wir haben daraufhin das Gespräch mit den Berliner Wasserbetrieben gesucht und gemeinsam beschlossen, dass wir hier auf Abwasserwärme setzen möchten“, so Knauer.

Mehrgenerationenhaus in nachhaltiger Bauweise

Im Juli 2014 begannen schließlich die Bauarbeiten auf dem rund 5300 m² großen Grundstück. In vier Bauabschnitten entstanden drei Baukörper als Blockrandbebauung mit insgesamt 78 Wohneinheiten, die sich um einen Gemeinschaftsgarten gliedern. Das oberste Geschoss ist jeweils als Staffelgeschoss ausgebildet.

Die 2-bis 5-Zimmerwohnungen sind von der Haustür bis zum Balkon barrierefrei gestaltet und verfügen über multivalente Grundrissstrukturen, sodass bei Bedarf auch alternative Wohnformen geschaffen werden können – so lässt sich etwa eine 11-Zimmerwohnung zum gemeinschaftlichen Wohnen anbieten.

Bei der Bebauung des Grundstücks kamen vorwiegend umweltgerechte Baustoffe zum Einsatz. Zudem wurden Gründächer errichtet, die nicht nur Lebensraum für Pflanzen und Tiere bieten, sondern darüber hinaus wärmedämmend wirken und ein hohes Wasserrückhaltevermögen besitzen.

Zusätzlich gewährleisten ausreichend Regenwasserversickerungsflächen auf dem Grundstück, dass der Grundwasserspiegel trotz der Flächenversiegelung nicht abfällt und der natürliche Wasserkreislauf erhalten bleibt.

Das generationengerechte Mehrfamilienhaus besteht aus drei Baukörpern, die sich um einen Gemeinschaftsgarten gliedern.

78 m langer Wärmeübertrager in Abwasser-Druckleitung

Zur Nutzung der Abwasserwärme wurde in der Abwasser-Druckleitung in der angrenzenden Dorotheastraße ein 78 m langer Wärmeübertrager als Rohr-in-Rohr-System integriert. Im inneren Rohr mit einem Durchmesser von 90 cm fließt das zwischen 11 und 23 °C warme Abwasser. Im Zwischenraum (Ringspalt) zum Außenrohr, das einen Durchmesser von knapp einem Meter aufweist, zirkuliert Wasser als Übertragungsmedium.

Über dieses Rohr-in-Rohr-System werden dem Abwasser etwa 2 K Wärme entzogen. Wichtig ist dabei, dass das Abwasser nicht zu stark heruntergekühlt wird. „Das Abwasser muss mit 12°C im Klärwerk ankommen, damit dort die biologischen Reinigungsprozesse effektiv ablaufen können“, erläutert Michael Klaus von den Berliner Wasserbetrieben.

Von der Druckleitung wird das erwärmte Übertragungsmedium, also die Sole im Ringspalt, unterirdisch zur rund 100 m entfernten Heizzentrale im Keller des Gebäudes transportiert. Dort befindet sich eine Kaskade aus sechs Sole/Wasser-Wärmepumpen des Typs WPF 66 von Stiebel Eltron mit einer Heizleistung von je 66 kW. Die Wärmeübergabe in den einzelnen Wohneinheiten erfolgt über Fußbodenheizungen, sodass bereits eine niedrige Vorlauftemperatur von 35 °C ausreicht.

Zusätzlich zur Wärmepumpenanlage wurden zwei Gas-Brennwertkessel installiert, die während der EVU-Sperren oder im Falle einer Havarie der Abwasserleitung einspringen. Die Warmwasserbereitstellung erfolgt dezentral über Durchlauferhitzer von Stiebel Eltron.

Drei der sechs Wärmepumpen sowie einer der beiden 2000-Liter-Pufferspeicher wurden vom restlichen Heizsystem entkoppelt und beheizen einen angrenzenden Altbau der EVM Berlin.

Wärmepumpen liefern Grundlast für angrenzenden Altbau

Neben dem Neubau wird auch ein angrenzender Altbau der EVM Berlin eG auf der gegenüberliegenden Straßenseite über die Heizzentrale mitversorgt. Bereits 40 der 118 Wohnungen werden über die Wärmepumpen beheizt. Da zur Wärmeversorgung des unsanierten Altbaus jedoch Vorlauftemperaturen von über 60 °C notwendig sind, wurden drei der sechs Wärmepumpen sowie einer der beiden 2000-Liter-Pufferspeicher entkoppelt. Diese sind allein für die Bestandsbeheizung zuständig und stellen mit 55 °C Vorlauftemperatur eine Grundlast zur Verfügung.

Die übrigen 78 Wohneinheiten werden bislang noch über bestehende Gasheizkessel versorgt. Haben diese ihr Lebensende erreicht, werden die Wohneinheiten aber ebenfalls auf das neue Heizsystem umgestellt. Perspektivisch sollen dann die Wärmepumpen die niedrige Vorlauftemperatur von 35 °C für den Neubau und 55 °C Grundlast für den Bestand gewährleisten, während die weitere Erhöhung der Vorlauftemperatur auf über 60 °C ein Gasbrennwertkessel übernehmen wird.

Wärmeatlas für die kommunale Wärmeplanung

Eine Heizungslösung, wie sie in Berlin-Karlshorst umgesetzt wurde, ist längst kein Einzelfall mehr. Die Berliner Wasserbetriebe verzeichnen inzwischen ein deutlich wachsendes Interesse an Abwasserwärmenutzung. „Die Nachfrage ist aktuell sehr hoch. Damit wir auf Anfragen schneller reagieren können, haben wir die systemseitigen Potenziale untersucht und ein simulationsgestütztes Planungstool entwickelt – den Abwasserwärmeatlas“, berichtet Michael Klaus. „So können wir auf einen Blick prüfen, ob die Nutzung an einem Standort in Frage kommt.“

Mit diesem Tool möchten die Berliner Wasserbetriebe derartige Projekte auch weiterhin unterstützen. Denn für das städtische Unternehmen ist Abwasserwärme ein bedeutsamer Baustein für die urbane Wärmewende. „Das Berliner Abwassernetz, bestehend aus Kanälen und Druckrohrleitungen, stellt aufgrund seiner Größe und der vorhandenen Infrastruktur eine vielversprechende regenerative Wärmequelle und -senke dar. Vor diesem Hintergrund sehen wir Abwasserwärme als eine wichtige Ressource bei der kommunalen Wärmeplanung“, fasst Michael Klaus zusammen.

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