Automatisierte Fenster: KNL statt KWL
Von modernen, nachhaltigen Großimmobilien wie Industrie-, Wohnungs- und Zweckbauten wird heute immer mehr Intelligenz erwartet. Und die ist ohne digitale Haustechnik und Gebäudeautomation mit fassadenintegrierten Öffnungselementen nicht machbar. Sie machen Smart Buildings zu intelligenten Allroundern: multifunktional, betriebskostensparend und nutzerfreundlich – mit einem Plus an Komfort, Sicherheit und Energieeffizienz. Lesen Sie in diesem Beitrag, was jetzt schon möglich ist und womit wir in Zukunft noch zu rechnen haben.
Unter Gebäudeautomation oder Gebäudesystemtechnik versteht man den Einsatz von Überwachungs-, Steuerungs- und Regelungstechnik mit dem Ziel, Funktionsabläufe im Gebäude und in der Fassade automatisch nach festen Parametern zu steuern.
Dies geschieht durch Vernetzung aller Aktoren, Sensoren, Verbraucher und Bedienelemente miteinander. Kennzeichnendes Merkmal der Gebäudeautomatisierung ist die dezentrale Anordnung der Steuerungseinheiten und die durchgängige gewerkeübergreifende Vernetzung per einheitlichem Bussystem wie BACnet, KNX und LON oder per Modbus-Protokoll.
Letzteres hat sich speziell für Antriebe in der Fensterautomation international als Standard etabliert. Dieses dezentrale Konzept, das den Energie- vom Datenfluss trennt, bietet noch zwei weitere Vorteile: Einen deutlich minimierten Verkabelungsaufwand im Gebäude, der zusätzlich auch die CO2-Bilanz der Immobilie verbessert.
Smarthome: Kleine Lösung fürs Zuhause
Auch im Kleinen sind smarte Lösungen zunehmend als Helfer willkommen: Stichwort „Smarthome“. „Alexa, schließ die Fenster, schalte die Heizung ein und spiel meine Lieblingsmusik.“ In immer mehr Haushalten werden Hausgeräte und -funktionen per Sprachbefehl oder Smartphone gesteuert – in der Regel als „Insellösung“.
Ein vernetztes, intelligentes Smarthome, in dem die Komponenten über Bussysteme miteinander interagieren, ist bisher noch die Ausnahme. Die (Fern-)Steuerung über Smartphone, Tablet oder vollautomatisch per PC kommt gerade den jüngeren Generationen der Digital Natives entgegen. Für sie sind diese Anwendungen inklusive Apps längst Teil ihres Alltags. Im Fokus der privaten Nutzer steht der Zugewinn an Komfort und Lebensqualität. Energieeffizienz und Klimaschutz als Mehrwert etablieren sich erst langsam als feste Entscheidungsgröße im Smarthome-Bereich – ein mit einem Potenzial von rund 40 Mio. Haushalten in Deutschland riesiger Markt.
Smart-Buildings: Wichtig für klimaneutrales Bauen
Neben dem ökonomischen Druck ist die Klima- und Umweltgesetzgebung die treibende Kraft, Neubauten und Bestandsgebäude mit intelligenten Lösungen energieeffizienter und nachhaltiger zu gestalten. Schließlich wird rund 40% der Energie weltweit in Gebäuden verbraucht. 33% der Treibhausgasemissionen entstehen dort, insbesondere in Büro-, Verwaltungs-, Geschäfts- und Industriebauten.
Die Effizienz- und Einsparpotenziale in diesem Bereich sind also groß. In Deutschland entfällt rund 35% des Primärenergieverbrauchs auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden. Um die international vereinbarten Klimaziele zu erreichen, hat die Gesetzgebung die Anforderungen in puncto Energieeffizienz kräftig nach oben geschraubt.
So müssen ab dem Jahr 2021 alle Neubauten das Niveau von Nullenergiehäusern erreichen, bei öffentlichen Gebäuden gilt diese Auflage schon jetzt. Insgesamt soll der Primärenergiebedarf von Gebäuden bis 2050 gegenüber dem Basisjahr 2008 um 80% reduziert werden.
Die Umsetzung dieses ambitionierten Vorhabens wird zweigleisig angestrebt: durch die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden sowie einer energieeffizienten Bauweise bei Neubauten. Ein wichtiger Baustein dafür sind hochwärmegedämmte Fenstersysteme mit leistungsstarken Funktionsgläsern.
Eine weitere Schlüsselrolle spielt das Konzept des Smart Buildings, das per Gebäudeautomation Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen intelligent steuert.
Die Bedeutung der Gebäudeautomation wird auch durch die EU-Gebäuderichtlinie 2018 EPBD (Energy Performance of Buildings Directive) unterstrichen, die im Juli 2018 in Kraft getreten ist. Ein Ziel der EPBD-Novelle ist die Förderung der Nutzung von intelligenten Technologien.
So lässt sich beispielsweise mit kontrollierter natürlicher Lüftung (KNL) durch automatisierte Fenster die vom Gesetzgeber vorgeschriebene bedarfsgerechte nutzerunabhängige Gebäudeluftung sicherstellen und der Energiebedarf eines Burogebäudes um bis zu 30% reduzieren.
Das belegt die Studie „KonLuft – Energieeffizienz von Gebäuden durch kontrollierte natürliche Lüftung“ der Hochschule für Technik Stuttgart, die in Zusammenarbeit mit dem Projektpartner ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie sowie den Projektträgern Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) und Projektträger Jülich (PTL) erstellt wurde.
Lüftung auf zwei Wegen
Eine bedarfsgerechte Gebäudelüftung in Smart Buildings lässt sich in der Regel durch zwei Lüftungskonzepte erreichen: ventilatorgestützt oder per kontrollierter natürlicher Lüftung über elektromotorisch betriebene Fenster.
Die ventilatorgestützte Lüftung als z.Zt. gängigste Lösung versorgt Räume oder ganze Gebäude mit einer mechanischen Zu- und Abluftführung uber entsprechende Schächte. Der Luftaustausch wird an die jeweiligen Gebäudeanforderungen angepasst, wobei äußere Einflüsse wie Wind, Regen oder Temperatur keine Rolle spielen.
Nachteile: Da in der Regel große Luftmassen bewegt werden müssen, benötigen die Anlagen viel Platz, sind technisch aufwendig, wartungsintensiv und verbrauchen durch ihren kontinuierlichen Betrieb viel Energie. Entsprechend hoch sind die Investitions- und Unterhaltskosten. Zudem kann es zu einer erhöhten Geräuschkulisse kommen.
Natürlichen Luftaustausch nutzen
Eine effiziente, aber am Markt noch wenig genutzte Alternative zu ventilatorgestutzten Lüftungsanlagen in Smart Buildings ist die kontrollierte natürliche Lüftung (KNL) über automatisierte Fenster. Zentrales Element der KNL sind automatisierte Fassaden- und Dachfenster, die von integrierten elektromotorischen Antrieben geöffnet und geschlossen werden. Mit ihrer Hilfe werden die natürlichen Ressourcen Wind und Thermik zusammen mit den Druckdifferenzen an der Gebäudehülle für den bedarfsorientierten Luftwechsel im Gebäude genutzt.
Das gewährleistet die Bereitstellung ganzjährig guter Raumluftqualität und thermischer Behaglichkeit mit optimaler Raumluftfeuchte zu allen Tages- und Nachtzeiten – mit moderaten Luftströmen im Winter und hohem Luftwechsel im Sommer. Die KNL bietet außerdem den Vorteil, dass die Raumnutzer die automatisierten Fenster bei Bedarf auch manuell öffnen und schließen können, ohne systemverändernde Auswirkungen auf das programmierte Lüftungskonzept.
Über Sensoren werden permanent alle relevanten Innen- und Außenklimadaten wie z.B. Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeits- und CO2-Werte, Windstärke, Niederschlag oder Sonneneinstrahlung erfasst und an eine Steuereinheit weitergeleitet. Von dort aus werden die automatisierten Fenster in Abhängigkeit thermischer, lufthygienischer und energetischer Zielstellungen „intelligent“ geöffnet oder geschlossen.
Ein maßgeschneidertes Lüftungskonzept mit individuellen Parametern kann einfach und schnell erstellt werden: tag- und uhrzeitgenau fur jeden Raum und jede Innenklima- und Wettersituation. Der Nutzer hat dabei die Freiheit, den Raum in einem vorab definierten Rahmen manuell zu lüften, ohne dass es zu Systemstörungen kommt.
Damit erfüllen KNL-Anlagen auch die Anforderungen an Barrierefreiheit: Selbst schwer zugängliche oder großformatige Fensterflügel können automatisch ohne Kraftaufwand von mobil eingeschränkten oder schwächeren Personen bedient werden.
Über vorhandene Schnittstellen ist auch eine intelligente Einbindung in die Gebäudeautomation und damit eine multifunktionale Vernetzung und Interaktion gewerkeübergreifend mit anderen Gebäudesystemen wie Heizungs-, Sonnenschutz-, Einbruchmelde- oder Entrauchungsanlagen möglich.
Studie belegt hohe Energie- und Kosteneffizienz
Die KNL mit automatisierten Fenstern erfüllt nicht nur alle Normen- und Richtlinienvorgaben für thermische und hygienische Raumbedingungen mit guten bis sehr guten Werten, sie ist auch eine kostengünstige und energieeffiziente Lüftungsvariante. Das zeigt die KonLuft-Studie der HFT Stuttgart bei ihrer Lebenszyklusanalyse über einen Zeitraum von 20 Jahren:
Basierend auf den Eckdaten der betrachteten Gebäude und den Ergebnissen der analysierten Szenarien kann eine KNL-Anlage im Vergleich zu einer ventilatorgestützten Lüftungsanlage inklusive Wärmerückgewinnung knapp 11% bei den Investitionskosten einsparen sowie rund 25% weniger Kosten über den Betriebszyklus verursachen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Die KNL ist eine umweltfreundliche Lüftungsart, die durch minimalen Energieverbrauch natürliche Ressourcen schont und damit hilft, den CO2-Ausstoß zu senken.
Die Praxistauglichkeit der KNL belegen nicht nur deutsche Referenzprojekte wie das Klimahaus Bremerhaven, der Flughafen Münster/Osnabrück, der Berliner Reichstag und der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, sondern auch zahlreiche weltweit umgesetzte Großprojekte: Dort sorgen zum Teil mehrere tausend Fensterantriebe, gewerkeübergreifend vernetzt und per Gebäudeautomation intelligent gesteuert, sicher und zuverlässig für frische Luft sowie für eine schnelle Entrauchung im Brandfall.
Normative Grundlagen
Trotz der wissenschaftlichen und praktischen Nachweise ihrer Wirksamkeit wird die KNL mit automatisierten Fenstern bei der Planung von Belüftungskonzepten in Smart Buildings noch zu selten berücksichtigt. Das soll sich aber künftig ändern. Zum einen durch eine für Planer, Architekten und Gebäudebetreiber wichtige normative Neuerung:
In der DIN 1946-6 Wohnungen, die den Mindestluftwechsel in einem Gebäude betrifft, sind nun neben der ventilatorgestützten Lüftung erstmalig auch die „freie Lüftung“ und „kombinierte Lüftungssysteme“ normativ miterfasst. Nicht zuletzt durch die überzeugenden Ergebnisse in puncto Energieeffizienz und Nachhaltigkeit, die u.a. die KonLuft-Studie der HFT Stuttgart erbracht hat. Damit existiert jetzt eine Grundlage, die Planungssicherheit für die Bemessung solcher Lüftungsanlagen gibt.
Zum anderen stellt der Verband Fensterautomation und Entrauchung VFE auf seiner Website www.zentrum-fuer-luft.de ein KNL-Berechnungstool zur Verfügung, mit dem notwendige Luftwechsel bestimmt oder Planungsgrundlagen für KNL-Anlagen erstellt werden können.
Fazit und Ausblick
Integriert in die intelligente Gebäudeautomation von Smart Buildings, ermöglichen KNL-Anlagen mit elektromotorisch betriebenen Fenstern nutzerunabhängige bedarfsgerechte Lüftungskonzepte. Sie verbinden hohe Ansprüche an Raumluftqualität, Hygiene, Komfort und Flexibilität mit geringem Primärenergiebedarf und reduzierten Investitions- und Betriebskosten. Ihre Einsatzmöglichkeiten reichen von Büro-, Industrie- und Wohngebäuden über Hotels, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bis hin zu Lern-, Sport- und Freizeitstätten.
Aber das intelligente Potenzial solcher Anlagen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Basierend auf Cloud-Technologien und künstlicher Intelligenz (KI), geht z. B. bei automatisierten Fenstern die Entwicklung in Richtung selbstlernender Einheiten. Anhand der kontinuierlich gesammelten Messwerte und Daten von beispielsweise Öffnungs- und Schließvorgängen erkennen und melden Fenster frühzeitig selbst, ob und wann Komponenten wie Antriebe gewartet werden müssen. Das verhindert Störungen und Ausfälle, reduziert die Service- und Instandhaltungsarbeiten und senkt damit auch die Betriebskosten des Gebäudes.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in GLASWELT 10/2019.