Fensterbranche: Das wird wichtig nach Corona
Wie sieht die Fensterbranche nach Corona aus? Insgesamt sieht die auf die Bauzulieferindustrie spezialisierte Unternehmensberatung Munich Strategy sechs zentrale Handlungsfelder für die Fensterbranche. Datengrundlage der Analyse sind Experteninterviews sowie die Munich Strategy Mittelstandsdatenbank mit Leistungs- und Strategiedaten von mehr als 3500 mittelständischen Unternehmen.
Ausgangslage der Fensterbranche
Die deutsche Baubranche zeigte sich im Coronajahr 2020 vergleichsweise beständig: Öffentliche Aufträge wie auch Aufträge aus dem Wohnbau wurden fortgeführt, auf den Baustellen lief der Betrieb weitgehend weiter. Rückgänge im Auslandsgeschäft, insbesondere in der Industrie, konnten durch Zuwächse im Inland und Kosteneffekte egalisiert werden. Dank der hohen Auftragsbestände zu Jahresbeginn kamen die meisten Unternehmen gut durch die Krise, bei einem Großteil liefen die Arbeiten im Normalbetrieb.
Dass die Branchenzugehörigkeit für Unternehmen jedoch keine Erfolgsgarantie ist, zeigt das Opinion Paper von Munich Strategy. Laut Autor und Branchenexperte Dr. Constantin Greiner müssen sich alle Unternehmen auf gravierende Veränderungen durch Covid-19 einstellen: „Trotz vergleichsweise guter Ausgangsbedingungen gilt auch für die Marktführer der Bauzulieferindustrie: Es gibt kein Zurück zum Modus „vor Corona’“. Er empfiehlt Herstellern der Branche, sich auf sechs zentrale Handlungsfelder zu fokussieren und sich darin strategisch klar zu positionieren.
Diese fünf Bedingungen prägen das „New Normal“
Die Auswirkungen der Covid-19-Krise werden für die Fensterbranche insbesondere in diesen fünf Rahmenbedingungen spürbar werden. Dazu gehören laut Munich Strategy:
- Die Rezession, die zu Kaufzurückhaltung und aufgeschobenen Investitionen vor allem im Gewerbebau führen wird.
- Die Re-Regionalisierung, die mit einer stärkeren Absicherung von Beschaffungsquellen und der Rückbesinnung auf regionale Rohstoffe einhergeht.
- Der Aspekt der Distanz, der in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling zu einer neuen Wertschätzung für den Raum und zu einem neuen Fokus auf bestimmte Gebäudetypen führt.
- Das Thema Hygiene & Gesundheit und damit einhergehend neue Anforderungen an die technische Gebäudeausstattung (inkl. Lüftung).
- Die Suche nach Sicherheit und damit verbunden mehr Investitionen in beständige Assets wie Immobilien wird als prägende Rahmenbedingung für die „Neue Normalität“ gesehen.
Zuletzt wird der steigende Einfluss des Staates genannt, zum Beispiel in Form von staatlicher Förderung für öffentliche Infrastruktur oder einer energetischen Sanierung von Privathäusern.
Die veränderten Rahmenbedingungen werden sich in den zentralen Handlungsfeldern der Fensterindustrie unterschiedlich stark bemerkbar machen. Munich Strategy sieht für herstellende Unternehmen Handlungsbedarf in den Feldern:
- Preisentwicklung
- Renovierungsboom
- Neue Entscheider
- Differenzierung
- Fachkräftemangel
- Nachhaltigkeit
Die Digitalisierung wird als übergeordneter Trend gesehen, der in allen Handlungsfeldern eine Rolle spielt.
Händler und Monteure bleiben Influencer Nr. 1
Das Opinion Paper beschäftigt sich auch mit der Frage, welche Rolle der Endkunde im New Normal spielen wird. Die Autoren stellen fest, dass bedingt durch die Pandemie Kaufentscheidungen verstärkt online getroffen werden. Das führt dazu, dass die Transparenz steigt und die Endkunden an Entscheidungsmacht gewinnen. Deshalb raten die Autoren den Herstellern, ihre Kommunikation in Richtung Endkunde zu verstärken.
Jedoch werde der „Influencer Nr. 1 “ der Händler bzw. Monteur bleiben, da das Fenster vor allem ein technisches und somit beratungsintensives Produkt ist. Hersteller sollten weiter in Bindungsprogramme für Händler investieren, ihr Händlernetz erweitern – gegebenenfalls auch unter Einbeziehung weiterer Vertriebskanäle – und die regionale Markenbildung beim Endkunden als Verkaufsunterstützung für den Händler vorantreiben.
Differenzierung wird noch wichtiger
Munich Strategy geht davon aus, dass der Preisdruck im Segment Fenster weiter steigen wird, sieht aber eine starke Spaltung des Feldes. Mit einer Stärkung des Renovierungsmarktes als Konsequenz der „Flucht in Assets“ kann ein „One-Fits-All“-Ansatz nicht dem Zeitgeist und den Ansprüchen der Kunden gerecht werden. Die Folge: Das Qualitätssegment wächst weiter und auf der anderen Seite dominieren preisgünstige Basisprodukte.
Dr. Constantin Greiner empfiehlt Herstellern zum einen, durch Produkt- und Serviceinnovationen die eigene Marke weiter zu differenzieren. Zudem sollten sich Fensterunternehmen stärker mit der Zielgruppe der Endkunden befassen, denn diese müssen Leistungsunterschiede wahrnehmen können. Die Einbindung des Handels bzw. Monteurs, um diese USPs zu definieren und zu kommunizieren, ist dazu wesentlich. Auch der Anspruch, „Themenführer“ im Hinblick auf neue Trends zu sein, ist laut Munich Strategy ein Muss für Erfolg im New Normal.
Handwerk wird zum Nadelöhr
Munich Strategy erwartet, dass die Anzahl qualifizierter Monteure weiter sinken wird und die Aufträge umfangreicher werden, da neben dem Fenster auch Zeit für Sonnenschutz und Systemintegration aufgewendet werden muss. In der Folge wird sich der Kampf um Montagekraft zwischen den Herstellern weiter verstärken. Nur wer über die nötige Montagekapazität verfügt, wird wachsen können. Dr. Greiner geht davon aus, dass es nur wenigen Montagebetrieben gelingen wird, durch eine höhere Arbeitsteilung ungelernte Kräfte in ihren Montageprozess zu integrieren.
Die Hersteller stehen damit vor der Herausforderung, die Weiterentwicklung der Produkte, Qualität und Installation unter einem Dach zu vereinen. Außerdem gilt es, Bindungs- und Serviceprogramme für Händler und Montagebetriebe anzubieten – z. B. Montage-Schulungen, die speziell auf neue und ungelernte Arbeitskräfte ausgerichtet sind. Zu guter Letzt empfiehlt der Experte von Munich Strategy der Industrie, ihre Nähe zu und damit auch Ihr Verständnis für den Handel und für die Monteure deutlich zu verbessern. Deren „Pain Points“ richtig zu adressieren, wird für Hersteller ein zentraler Erfolgsfaktor im New Normal sein.
„Bereits bekannte Herausforderungen der deutschen Fensterindustrie erhalten durch Covid-19 eine neue Dynamik“, fasst Dr. Constantin Greiner die Ausarbeitung zusammen. „Wer sich jetzt in den entscheidenden Handlungsfeldern klar aufstellt, kann diese Dynamik für ein ‚Refresh’ der eigenen Unternehmensstrategie nutzen und seinen Wachstumskurs neu planen.“
Die vollständigen Ergebnisse des Opinion Papers können angefordert werden bei: Marisa Elsäßer, presse@munich-strategy.com; +49 (0)89 1250 15916.
Unsere Schwesterzeitschrift GLASWELT hat nachgefragt bei Dr. Greiner: Wie sind Fensterbauer nach der Pandemie optimal aufgestellt?
GLASWELT – Sie beschreiben es in Ihrem Fazit, dass die Herausforderungen der Branche, die schon vor der Pandemie bestanden, jetzt wohl noch erheblich deutlicher gelten. Ist Covid-19 also nur ein „Brandbeschleuniger“?
Dr. Constantin Greiner – Genau so sehe ich es. Die Herausforderungen, mit denen die Fensterbranche konfrontiert ist, sind keine Corona-bedingten Herausforderungen, sondern Themen, die bereits seit Jahren virulent sind. Die Folgen der Pandemie können dazu führen, dass die Brisanz der einzelnen Themen neu gewichtet werden muss.
Deshalb halten wir unsere Kunden in der Fensterbranche an, ihre Post-Corona-Agenda zu schreiben. Dabei geht es nicht notwendigerweise um die komplette strategische Neuausrichtung, sondern darum, kurz und mittelfristig die Akzente des eigenen Handelns zu prüfen und ggf. zu adjustieren.
Offensichtlich raten Sie davon ab, die eierlegende Wollmilchsau im Fenstersegment zu produzieren und zu promoten – das heißt: entweder ganz toll und ganz ausführlich oder ganz billig und schnell?
In der Tat. Ich befürchte, der Markt wird sich nach „oben“ und „unten“ ausdifferenzieren – wie eine Sanduhr. Das kann erhebliche Folgen für große Teile der Fensterhersteller mit sich bringen, speziell für diejenigen, die mit einem guten Qualitätsprodukt sämtliche Marktsegmente adressieren und sich somit eher im Mittelbereich des Marktes positioniert haben. Allerdings will ich nicht dahingehend missverstanden werden, dass im oberen Preissegment kein „Preis-Leistungsdruck“ herrscht. Vielmehr geht es darum, dass es im Markt ein starkes Standardsegment gibt, mit eigenen Spielregeln, die Produktdifferenzierungen kaum honorieren und ein Premiumsegment mit anderen Spielregeln. Unternehmer müssen ihr Spielfeld sorgfältig auswählen.
Sie erwähnen den Aspekt der Distanz und Fokus auf bestimmte Gebäudetypen. Welche Gebäudetypen sind das dann?
Leistbarer Wohnraum im erweiterten urbanen Raum, besonders Ein- und Zweifamilienhäuser. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass das Homeoffice 2022 einen bedeutenderen Stellenwert einnehmen wird als 2019. Wenn also der Weg zur Arbeit nicht mehr täglich anfällt, sondern vielleicht nur noch zwei Mal die Woche, dann gewinnen ländlichere Regionen wieder an Bedeutung. Meines Erachtens kann so eine Entwicklung deutliche Impulse im Renovierungsmarkt setzen, meist mit hohen Anforderungen an nachhaltige Produkte. Im Übrigen ist eine solche Entwicklung schon in einigen Großstädten in aller Welt zu erkennen.
Was verstehen Sie unter Handlungsbedarf zum Thema „Neue Entscheider“?
Mit dem „Neuen Entscheider“ meinen wir explizit den Endkunden. Die Frage, die sich die Fensterhersteller immer stärker stellen müssen lautet: „Wer trifft zukünftig die Entscheidung für oder gegen eine Fenstermarke?“ Bleibt es der Händler und Monteur oder wird es der Endkunde?
Klar ist, dass sich während der Pandemie der Umgang mit digitalen Tools und Verkaufskanälen wesentlich verändert hat. Die Akzeptanz von Kanälen ist im privaten Konsum noch einmal deutlich höher. Das schließt auch den Fenstermarkt mit ein. Und dennoch bleibt das Fenster ein technisches und beratungsintensives Produkt, das durch einen Fachmann eingebaut werden muss. Die Tatsache, dass Montagekapazität knapp ist und die Endkunden wenig Wahlmöglichkeiten haben, spricht ebenfalls dafür, dass der Einfluss des Handwerks hoch bleibt. Die Auflösung dieses Spannungsfelds muss jedes einzelne Fensterunternehmen für sich lösen. Wie digital die Customer Journey in Zukunft sein wird, hängt letztlich auch maßgeblich vom eigentlichen Zielklientel ab.
Vor kurzen haben Marktforscher ihre Sicht auf den österreichischen Markt publiziert. Es hieß, dass die Lust dort auf eine Fenstersanierung ausgeblieben sei, die Preise für Fenster hätten kräftig angezogen und der Neubau wachse stärker als die Sanierung. Wie kann es sein, dass Kunden in D und Ö sich so unterschiedlich verhalten?
In den aktuellen Wirtschaftsprognosen des WIFO (vergleichbar mit dem IFO Institut in Deutschland) fallen die Wachstumsraten für den österreichischen Wohnbau in der Renovierung doppelt so hoch aus wie im Neubau. Daher verwundert mich die Aussage, allerdings kenne ich die angesprochene Studie nicht. Ich sehe aber tatsächlich den Trend von signifikant steigenden Preisen – in Deutschland wie in Österreich. Dies betrifft nicht nur die Fensterindustrie, sondern die gesamte Bauwirtschaft, da es aktuell zu einer massiven Verteuerung der Rohstoffpreise kommt.
Diese Preissteigerungen werden sicherlich Spuren im Konsum hinterlassen, auch was Fenster betrifft. Dennoch bin ich nicht besorgt über die Entwicklung, da viele Haushalte während der Pandemie Geld angespart haben und weil die Zinsen auf absehbare Zeit gering bleiben werden. Gleichzeitig ist der Wunsch nach Sicherheit und einem Eigenheim ungebrochen hoch, das unterstützt die Nachfrage weiter. Da unterscheidet sich Österreich nicht von Deutschland.
Die Fragen stellte GLASWELT-Chefredakteur Daniel Mund.
Dieser Beitrag von Daniel Mund ist zuerst erschienen in GLASWELT 04/2021.
Dr. Constantin Greiner leitet bei Munich Strategy den Geschäftsbereich Bau und berät Kunden des gehobenen Mittelstands der Bauzulieferindustrie. In den Projekten stehen die strategische Weiterentwicklung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Kunden im In- und Ausland im Mittelpunkt. Constantin Greiner ist Referent und Autor zahlreicher Fachpublikationen, unter anderem in den Bereichen Baustoffe, Gebäudetechnik und Gebäudegestaltung. In der Studie „Stresstest Fensterbranche 2020“ hat er die Krisenfestigkeit der deutschen Fensterindustrie in Zeiten von Covid-19 untersucht und dafür über 40 Unternehmen aus allen Subsegmenten der Branche analysiert.