Vernetzter Brandschutz: Eine risikoreiche Maßnahme
Unser ganzes Leben wird immer smarter. Ob via Mobiltelefon, in Autos oder Gebäuden, die Vernetzung nimmt stetig zu und erleichtert vieles. Allerdings birgt die ungehemmte Kopplung verschiedener Bereiche auch Risiken. Vor allem beim anlagentechnischem Brandschutz. Deshalb werden heutige Großbauprojekte auch immer seltener termin- und kostengerecht abgeschlossen. Ein häufiger Grund für die teils drastischen Verzögerungen ist ein wegen zu vieler Verflechtungen dann nicht mehr störungsfrei zu realisierender Brandschutz.
Zu diesem einstimmigen Ergebnis sind die Experten im Rahmen der VdS-BrandSchutzTage in Köln gekommen. Die Diskussionsrunde zum Thema „Vernetzter Brandschutz – Chancen und Risiken“ hat gezeigt, dass es besonders bei großen und komplexen Gebäuden meist nicht förderlich ist, alle denkbaren technischen Vernetzungen und Abhängigkeiten auch zu realisieren. Der Fachverband Tageslicht und Rauchschutz e. V. (FVLR) sowie die VdS Schadenverhütung GmbH empfehlen bei großen und komplexen Gebäuden die Steuerung des anlagentechnischen Brandschutzes lieber in kleinen, überschaubaren Flächen und Gruppen umzusetzen und erteilen der großflächigen und multifunktionalen Vernetzung damit eher eine Absage.
Diese Ansicht kollidiert allerdings immer häufiger mit den Vorstellungen der Bauherren und Architekten, die die modernen Möglichkeiten der vollständigen Vernetzung von Gebäuden, Haustechnik und Brandschutz umfangreich ausschöpfen wollen. Trendige, einzigartige Bauwerke – natürlich offen, smart und komplett vernetzt. Möglichst viele Systeme sollen miteinander verbunden sein und gemeinsam genutzt werden. Schnell und meist unbemerkt werden dabei die Einsatz- und Funktionsgrenzen einzelner Systeme ausgereizt oder nicht mehr nachvollziehbar hinterlegt. Damit steigt das Risiko einer Katastrophe drastisch an. Soll nämlich ein System oder Leitungsweg Leistungen für ein anderes zusätzlich übernehmen und fällt dann in der Kette nur eine Komponente, etwa durch Überspannung, falsche Verdrahtung oder überlastete Anschlüsse usw., aus, funktioniert das gesamte Szenario nicht mehr. Der Verlust des vollständigen Brandabschnitts ist im Ernstfall zu erwarten.
Einfache Vernetzung und übersichtliche Begrenzung
Dipl.-Ing. Thomas Hegger, Geschäftsführer des FVLR, rät allen Planern deshalb zu einer klaren Formel: „Keep it simple, keep it small“. Hegger erklärt diesen Leitspruch: „‚Simple‘ bedeutet: Einzelne Systeme bleiben in sich geschlossen und dadurch möglichst überschaubar.“ Es solle nicht jede Kombination und Mehrfachnutzung ausgenutzt werden, die sich theoretisch anbietet. Hegger weiter: „‚Keep it small‘ steht dafür, dass Rauch- und Brandabschnittsgrößen begrenzt und nicht immer weiter vergrößert werden sollten. So muss im Brandfall maximal der Wegfall einer kleineren Fläche und kein Totalverlust eines übergroßen Brandabschnitts oder eines gesamten Gebäudes in Kauf genommen werden. Denn dies führt dann auch nicht selten zu einem wirtschaftlichen Totalschaden.“
Durch die Begrenzung der Rauch- und Brandabschnitte verbessert sich die Übersichtlichkeit, Fehlerauswirkungen werden begrenzt und es sind auch bei Nutzungsänderungen oft noch Reserven vorhanden oder eine notwendige Erweiterung ist möglich und überschaubar. Sollte in einem Brandabschnitt etwas verändert werden, sind damit nicht alle Abschnitte betroffen. Idealerweise wird der Rauch zudem über Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) abgeleitet und im unteren Bereich des Raumes strömt frische Luft nach, sodass sich eine raucharme Schicht bildet. Durch eine stabile Rauchschichtgrenze wird die Sicht für die Flucht verbessert und dadurch auch eine schnellere Brandbekämpfung möglich. Außerdem sind dann die Temperaturen deutlich niedriger und die Gefahr einer Entzündung verringert sich.
Mehr Sicherheit durch Autarkie
Auch Dipl.-Ing. Alwine Hartwig, bei VdS verantwortlich für die Entrauchung, und Dipl.-Ing. Dirk Borrmann von der TÜV Rheinland Industrie Service GmbH schließen sich dem „Keep it simple, keep it small“-Prinzip an. Hartwig ergänzt Heggers Formel um „Keep it autark“ und erklärt: „Brandschutzanlagen sollten nicht komplexer als nötig sein und jede einzelne Anlage müsste autark funktionieren, um dem Risiko eines Ausfalls schon in der Planung vorzubeugen.“ Borrmann bestätigt: „Brandschutzmaßnahmen dürfen nicht so kompliziert wie möglich gemacht werden. Komplexer bedeutet nicht besser, sondern eher störempfindlicher.“
Die meisten Negativbeispiele von Großprojekten werden durch die Missachtung dieser Aspekte erheblich beeinflusst. In Kombination mit fehlender Koordination von der Planung bis zur Ausführung der Gewerke verhindert dies oft eine termingerechte Fertigstellung des Baus. Führen die in der Bauphase notwendigen Veränderungen zu Abweichungen vom Baurecht, kommt es durch die daraus höheren Auflagen zu einer Ausgabensteigerung und weiteren Terminverlängerungen. „Wenn dann noch aus Kostengründen die in der Entwurfsphase geplante Raumlüftungsanlage die Entrauchung mit übernehmen soll, wird das Projekt oft nicht mehr beherrschbar“, ergänzt Hegger.
Probleme treten oft bei Nutzungsänderungen auf
Die auch im Brandfall sichergestellte Gebäudefunktionalität muss stets im Fokus stehen und darf nicht beeinträchtigt werden. „Möglichkeiten, die in einem Gebäude funktionieren, sind nicht einfach auf ein anderes Bauvorhaben übertragbar“, weiß Prof. Dr. Jörg Reintsema vom Institut für Technische Gebäudeausrüstung der Technischen Hochschule Köln. In der Nutzung und erst recht nach den ersten Nutzungsänderungen im Gebäude steht der Instandhalter vor dem Problem, dass er die verschiedensten Komponenten und deren Verdrahtungen bei zu komplexer Vernetzung nicht mehr mit dem Gebäude und seinen Risiken zusammenbringen kann. Fehlende Dokumentation, unvollständige Funktions- und Schalt-Matrixen und deren mangelnde konsequente Weiterschreibungen erschweren dann den sicheren Betrieb, die Modernisierung oder den Ausbau.
Ob die RWA manuell oder automatisch auslösen – in beiden Fällen sind die Wechselwirkungen, z. B. mit der Lüftungsanlage, zu beachten. Funktions- und Steuer-Matrixen müssen bei größerer Vernetzung erstellt und gepflegt werden, um die Funktionen der Zuluftnachführung und Energieversorgung nach einem Stromnetzausfall zu gewährleisten. Ebenso wichtig sind regelmäßige Wartungen und Überprüfungen der Anlagen sowie die Einweisung der Mitarbeiter.
Risiken durch autarke Systeme eindämmen
Ansonsten sind die Risiken unkalkulierbar. Hegger verdeutlicht: „Der Entstehungsbrand ist schnell die letzte Stufe vor dem Vollbrand. Und der Vollbrand führt bei Versagen schon an einer Stelle oft zum Gesamtverlust! Vollvernetzte, großflächige Anlagen verschärfen dieses Risiko.“
Fazit: Die einzelnen Systeme zum baulichen Brandschutz, anlagentechnischen Brandschutz sowie organisatorischen und abwehrenden Brandschutz sollten unabhängig voneinander funktionieren. Wechselwirkungen zum Gebäude und seiner Haustechnik sind zu vermeiden. „Ein kleiner Brand ist die meist letzte Chance vor der Katastrophe. Der Bauherr muss den Brand beherrschen, nicht der Brand den Bauherren“, weiß Hegger und schiebt einen konkreten Tipp nach: „Planer sollten die Wünsche der Bauherren einmalig entgegennehmen, überprüfen und dann mit dem Bau beginnen. Es darf aber keine ständigen nachträglichen Änderungen geben, dann kann jedes Großprojekt im geplanten Zeit- und Kostenrahmen fertig werden. Ein Paradebeispiel dafür ist für mich der Flughafen München.“