Corona bremst Gehaltsentwicklung in Deutschland
In den nächsten Jahren wird die Corona-Krise die Gehaltsentwicklung in Deutschland stark beeinflussen. Die Analysten von Gehalt.de haben eine erste Prognose zu den Lohnsteigerungsraten in 2020 und 2021 für die Gesamtwirtschaft sowie für acht Berufsgruppen ermittelt.
Das Ergebnis: Gehälter werden in diesem Jahr minimal wachsen. Das Pflegepersonal in Krankenhäusern könnte dabei noch vergleichsweise gut abschneiden. Die Entlohnung von Tourismuskaufleuten und Kfz-Mechatronikern wird hingegen nahezu stagnieren. Deutlich größere Einschnitte sind für 2021 zu erwarten.
Einbruch über alle Berufsgruppen hinweg
Im Vergleich zu 2019 werden die Gehälter in der Gesamtwirtschaft in diesem Jahr mit 1,6 Prozent nur minimal steigen. Dies geht aus einer aktuellen Prognose der Hamburger Gehaltsspezialisten hervor. Für 2021 liegt der prognostizierte Zuwachs bei 0,3 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 2009 und 2019 betrug die durchschnittliche Lohnsteigerungsrate 2,57 Prozent.
"Die Corona-Krise wird über alle Berufsgruppen hinweg zu einem Einbruch der Lohnsteigerungsraten führen", sagt Dr. Philip Bierbach, Geschäftsführer von Gehalt.de. Da Arbeitgeber die meisten Entscheidungen zur Lohnpolitik für 2020 bereits vor der Corona-Krise getroffen haben und viele Tarifverträge bereits abgeschlossen wurden, seien die Auswirkungen nicht unmittelbar und in voller Kraft spürbar, so Bierbach weiter. Die Entwicklung fällt je nach Berufsgruppe unterschiedlich aus - das verdeutlicht auch die zusätzliche Analyse acht ausgewählter Berufsgruppen.
Tarifgebundene Berufe kommen mit blauem Auge davon
"Berufsgruppen mit hoher Tarifabdeckung, klar geregelten Ausbildungsanforderungen und starker Präsenz in der öffentlichen Diskussion werden die Aufmerksamkeit durch die Krise besser in Tarif- und Gehaltsverhandlungen nutzen können", sagt Bierbach. Besonders das Pflegepersonal in Krankenhäusern (+3,1 Prozent) kann hier profitieren. Für Altenpfleger*innen (+2,6 Prozent) sind ebenfalls stabile Lohnsteigerungsraten zu erwarten - wobei die Tarifbindung hier deutlich schwächer ausgeprägt ist.
Die prognostizierten Gehälter für Kranken- (39.749 Euro) und Altenpfleger (33.788 Euro) lägen damit jedoch nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Zum Vergleich: Fachkräfte in Deutschland verdienen jährlich rund 41.400 Euro. Das gilt ebenfalls für die Berufsgruppe der Erzieher, bei der eine Lohnsteigerungsrate von rund +2 Prozent zu erwarten ist. Hier arbeiten etwa 75 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden.
"Viele - vor allem soziale - Berufe werden trotz Krise weiter Lohnsteigerungen bekommen. Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese stärker ausfallen werden als es ohne Corona-Krise der Fall gewesen wäre", so Bierbach.
Trotz Beifalls und Anerkennung werden nicht alle systemrelevanten Beschäftigten mit einer gleichermaßen positiven Gehaltsentwicklung belohnt. Dies hängt - wie zum Beispiel beim Kassenpersonal (+1,7 Prozent) - unmittelbar mit niedrigen Ausbildungsanforderungen sowie dem Fehlen eines flächendeckenden Tarifvertrags zusammen. Zudem ist es im Falle der Kassierer stark davon abhängig, ob die Beschäftigten im systemrelevanten bzw. nicht-systemrelevanten Einzelhandel arbeiten.
Keine Lohnsteigerung im Tourismus, leicht positiver Trend in der IT
Besonders drastisch trifft die Krise die Tourismusindustrie. Eingeschränkte Reisemöglichkeiten und geschlossene Reisebüros sind der Grund einer nur geringen Lohnsteigerungsprognose von 0,9 Prozent in 2020 und einer flächendeckenden Stagnation im darauffolgenden Jahr.
Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Automobilindustrie, denn auch hier sind die Einkommen stark konjunkturabhängig. Stillgelegte Autowerke, der Einbruch bei der Bestellung von Neuwagen im In- und Ausland sowie die Entscheidung gegen eine Kaufprämie seitens der Regierung treffen die Branche hart. So prognostizieren die Analysten von Gehalt.de auch für Kfz-Mechatroniker eine geringe Lohnsteigerung (+1,3 Prozent auf 32.947 Euro).
Ein leicht positiver Trend ist hingegen innerhalb der IT-Branche zu erwarten, denn Fachkräfte wie Softwareentwickler werden nach wie vor gefragt sein. Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werden Lohnsteigerungen jedoch auch in diesem Sektor geringer ausfallen als üblich (+1,7 Prozent). Das prognostizierte Gesamtgehalt (56.886 Euro) läge damit jedoch weiterhin im oberen Drittel unter den Gehältern in Deutschland.
Streichung von Bonuszahlungen wahrscheinlich
Grundsätzlich gilt, dass Gehälter eigentlich nicht sinken, auch nicht in Krisenzeiten. Ausnahmen bilden die erfolgs- und leistungsabhängigen Bezüge wie Sonder- und Bonuszahlungen oder das 13. Monatsgehalt. Gemäß der Prognose von Gehalt.de ist es aktuell nicht realistisch, dass Unternehmen die variablen Gehaltsanteile in 2020 in voller Höhe oder überhaupt auszahlen werden.
Prognose Gehaltsentwicklung 2021
"Die tatsächlichen Auswirkungen der Krise auf die Gehaltsentwicklung werden wir erst im nächsten Jahr zu spüren bekommen", sagt Philip Bierbach. Die für 2021 prognostizierte Lohnsteigerungsrate von +0,3 Prozent in der Gesamtwirtschaft liegt knapp über dem Wert nach der Finanzkrise (2009: +0,2 Prozent). "Wir gehen derzeit davon aus, dass wir im Hinblick auf Investitionen und Gehaltsentwicklung besser aus der Krise herauskommen können, da es sich bei der Pandemie um eine exogene Krise handelt, aber um keine Systemkrise", so Bierbach abschließend.
Zur Methodik
Auf Basis der umfassenden Gehaltsdatenbank mit 2,6 Millionen Datensätzen zu den Gehaltsstatistiken aus den vergangenen Jahren, vor dem Hintergrund der Lohnentwicklungen zu Zeiten der Finanzkrise 2008/2009 und den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt haben die Analysten von Gehalt.de die Lohnsteigerungsraten für die Jahre 2020 und 2021 prognostiziert. Für diese Einschätzung wurden für jeden Beruf drei Faktoren berücksichtigt: Tarifabdeckung, mediale Präsenz und die benötigten Qualifikationen für den Beruf.
Lohnsteigerungen lassen sich (langfristig und vereinfacht) auf drei Ursache-Komponenten zerlegen: (Reales) Wirtschaftswachstum, Inflation bzw. Inflationsausgleich und Veränderungen im zahlenmäßigen Verhältnis von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen. Die absoluten Gehälter und die Lohnsteigerungsraten in der Analyse klammern variable Bezüge der Beschäftigten aus.