Nationaler Anhang zur DIN EN 16 798-1: Was Fachprofis über die Mindestraumluftfeuchte wissen sollten
Als Nachfolgerin von DIN EN 15 251 [2] zählt DIN EN 16 798-1 [1] und insbesondere der zugehörige Nationale Anhang A zu den wichtigsten technischen Regeln in der Lüftungs- und Klimatechnik. Der normative Teil sowie die vielen Tabellen im genannten Anhang enthalten alle Parameter zur Projektierung und Sicherstellung „eines gewünschten Raumklimas in Räumen, die als Aufenthaltszone für Wohn- oder Arbeitszwecke genutzt werden (Büros, Sitzungsräume, Versammlungsstätten, Restaurants, Wohnräume etc.)“.
Die Festlegungen betreffen Vorgaben zum thermischen Raumklima (Raumtemperatur, Raumluftfeuchte), zur Raumluftqualität (Mindestaußenluftvolumenströme, CO2-Grenzwerte in der Raumluft) sowie zur Beleuchtung und Raumakustik. Dazu wurden in der Norm neue Kategorien der Raumqualität IEQ (Indoor Environment Quality) mit den Klassen I (hoch), II (Standard) und III (moderat) eingeführt.
Das bedeutet: Bauherr, Fachplaner und Architekt können sich für ihr Projekt bezüglich des gewünschten Raumklimas stets für eine Raumqualität IEQ I bis IEQ III entscheiden. Aus dieser Festlegung folgen dann zum Beispiel für die Standardqualität IEQ II einzuhaltende Raumtemperaturen von mindestens 20 °C (Winter) bis maximal 26 °C (Sommer) und Außenluftvolumenströme von etwa 50 m3/(h ∙ Pers) bzw. eine maximale CO2-Konzentration von etwa 1000 ppm in der Raumluft.
Bedeutung des Nationalen Anhangs
Allerdings sind die in vielen Tabellen in DIN EN 16 798-1 aufgeführten Werte zu den IEQ-Raumparametern lediglich Empfehlungen („Anhang B (informativ) Standardkriterien für die Innenraumqualität“), die von den Mitgliedstaaten zu prüfen sind. Aus diesen Prüfungen folgt dann – mit Übernahme oder gegebenenfalls mit Änderungen der empfohlenen Werte aus der Norm – ein Nationaler Anhang, für Deutschland: „Anhang A (normativ) Alle national empfohlenen Kriterien für die Innenraumqualität“.
Dieser normative Anhang wurde vom DIN NHRS (Normenausschuss Heiz- und Raumlufttechnik) erarbeitet. Bei den nun in Deutschland anzuwendenden Werten für die Raumparameter ist der DIN NHRS bei den Festlegungen zu den besonders im Winter wichtigen Mindestraumluftfeuchten den wissenschaftlichen Erkenntnissen und daraus folgenden Empfehlungen von Fachleuten gefolgt und hat im Nationalen Anhang A die geringen Werte der EN-Norm deutlich angehoben.
Normen vernachlässigen Mindestfeuchte
Dass eine Raumluftfeuchte von mindestens 40 % die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von Menschen schützt und fördert, wurde mittlerweile in zig weltweit durchgeführten medizinischen Untersuchungen und Studien nachgewiesen [3]. Allerdings werden diese Erkenntnisse bisher in technischen Regeln sträflich vernachlässigt oder gar negiert.
Nahezu gleichlautend behandeln Normen und Richtlinien einen möglichen Raum-Schwülezustand im Sommer und fordern dazu eine klare Obergrenze von maximal 65 % relativer Raumluftfeuchte bzw. eine absolute Feuchte von maximal 12 g/kg.
Demgegenüber findet man bisher in technischen Regeln bezüglich der Mindestraumluftfeuchte lediglich relativierende Aussagen, etwa „Bei Gebäuden, die keinen anderen Anforderungen als denen der menschlichen Nutzung unterliegen (z. B. Büros, Schulen und Wohngebäude), ist eine Be- oder Entfeuchtung gewöhnlich nicht erforderlich …“ oder „eine Be- und Entfeuchtung ist üblicherweise nur in besonderen Gebäuden, wie z. B. in Museen und einigen Gesundheitseinrichtungen, erforderlich“.
Zwar wird meist ergänzend erläutert, dass „bei Werten unter 30 % relativer Raumluftfeuchte gesundheitliche Beeinträchtigungen (z. B. trockene Schleimhäute) und störende, statische Aufladungen auftreten können“, aber normative Konsequenzen aus diesen bekannten Mängeln wurden bisher nicht gezogen.
Nur die derzeit in Überarbeitung befindliche Richtlinie VDI 3804 „Raumlufttechnik – Bürogebäude“ enthält eine deutlichere Empfehlung: „Es wird empfohlen, als Untergrenze die Kategorie 1 der DIN EN 15 251 (neu: DIN EN 16 798-1) mit 30 % r.F. anzustreben. Hierzu ist in der Regel eine Befeuchtungseinrichtung erforderlich. Feuchten < 30 % r.F. können zu Reizungen der Augen und der Luftwege führen und damit Infektionskrankheiten begünstigen. Ferner können Probleme mit erhöhter statischer Aufladung entstehen. Bei tiefen Außentemperaturen ist eine Unterschreitung einer Raumluftfeuchte von 30 % zu erwarten.“
Das neue Behaglichkeitsdiagramm
Das in der Klimatechnik seit vielen Jahren etablierte Diagramm mit Vorgaben zu behaglichen und gesunden Raumluftfeuchten spiegelt die Forderungen nach einer Mindestraumluftfeuchte von etwa 35 bis 40 % in Abhängigkeit von der Raumtemperatur im Feld „behaglich“ durchaus wider. Doch diese Werte finden in der Normung und auch in der täglichen Praxis der Lüftungs- und Klimatechnik bislang noch zu wenig Beachtung und sollten konsequenter umgesetzt werden.
Einen positiven Schritt in diese Richtung geht die von vielen Unternehmen unterstützte Kampagne „Mindestfeuchte 40 %“ des Fachverbands Gebäude-Klima (FGK, www.mindestfeuchte40.de) mit vielen weiteren Informationen. In Anlehnung an diese Kampagne wurde vom Verfasser das bisherige Behaglichkeitsdiagramm im Hinblick auf die Mindestfeuchte 40 % leicht modifiziert (Bild 2).
Raumluftfeuchte von 20 % bis 40 %
Leider enthalten auch die Neufassung von DIN EN 16 798-1 und der zugehörige Nationale Anhang A weiterhin die Aussage, dass „bei Gebäuden, die keinen anderen Anforderungen als denen der menschlichen Nutzung unterliegen …, eine Be- oder Entfeuchtung gewöhnlich nicht erforderlich ist“. Als Ausnahmen werden zum Beispiel Museen, Gesundheitseinrichtungen und die Papierindustrie genannt.
Für den Einsatz und zur Auslegung von Be- oder Entfeuchtungseinrichtungen werden die in Tabelle 10 im Nationalen Anhang A angegebenen Auslegungswerte empfohlen. Hierbei wurde im Vergleich zu den Standardkriterien (Anhang B) ein wichtiger Schritt vollzogen und die Werte für die Mindestfeuchten wurden spürbar nach oben korrigiert (siehe Bild 3). Der Zusatz im Titel der Tabelle, „wenn Be- oder Entfeuchtungsanlagen eingebaut sind“, spiegelt wider, dass ohne deren Einsatz diese wichtigen Mindestparameter in den Kategorien IEQ I und IEQ II nicht eingehalten werden können.
Folgen aus den Vorgaben
Was folgt aus den Vorgaben des Nationalen Anhangs A in DIN EN 16 798-1 für die Planung und Ausführung von Lüftungs- und Klimaanlagen?
Aus dem Tabellentitel „wenn Be- oder Entfeuchtungsanlagen eingebaut sind“ folgt, dass die Minimal- und Maximalwerte nur dann eingehalten werden können, wenn in der Lüftungs- oder Klimaanlage tatsächlich Systeme zur Be- und Entfeuchtung installiert sind. Grundsätzlich sind aber alle Parameter der IEQ, und dazu gehört auch die Raumluftfeuchtigkeit, im Rahmen des Planungsprozesses festzulegen und zu dokumentieren. Eine entsprechende Diskussion und Aufklärung der Kunden und Nutzer ist also erforderlich.
So wichtig ist die Luftbefeuchtung
Wie wichtig die Luftbefeuchtung ist, erläutert ein einfaches Beispiel: Es wird angenommen, dass an einem Wintertag die Außenluft eine Temperatur von − 5 °C und eine relative Feuchte von 80 % hat (absolute Feuchte etwa 2 g/kg). Diese Außenluft wird in einem RLT-Gerät auf die gewünschte Zulufttemperatur erwärmt. Dabei bleibt die absolute Feuchte konstant, aber die relative Feuchte der Zuluft sinkt, je nach Einblastemperatur der Zuluft, bis unter 10 % r.F.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass durch die Feuchteabgabe der Personen im Raum die absolute Feuchte beispielsweise um 1,5 g/kg ansteigt, ergibt sich damit bei einer tatsächlichen Raumlufttemperatur von 23 °C eine Raumluftfeuchte von nur 20 %. Somit können ohne eine geregelte Befeuchtung der Außenluft im RLT-Gerät selbst die qualitativ geringsten empfohlenen Werte der DIN EN 16 798-1 von 20 % r.F. im Raum kaum bzw. nur gerade noch eingehalten werden.
Das Erreichen von IEQ II (Standardfall mit 30 % relativer Luftfeuchtigkeit) oder des besseren Wertes IEQ I (40 % r.F.) ist ohne Luftbefeuchtung jedoch ausgeschlossen. Leider wurde mit der Erarbeitung des Nationalen Anhangs A in DIN EN 16 798-1 erneut eine Chance verpasst, eine Mindestraumluftfeuchte normativ festzuschreiben. Damit stehen insbesondere die Planer im Rahmen ihrer Beratungspflichten und der Bedarfsplanung in der Verantwortung.
Der Autor Christian Bremer ist Geschäftsführer der Condair GmbH.
Literatur
[1] DIN EN 16 798-1 Energetische Bewertung von Gebäuden – Lüftung von Gebäuden – Teil 1: Eingangsparameter für das Innenraumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden bezüglich Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik – Modul M1-6; Deutsche Fassung EN 16798-1:2019. Berlin: Beuth Verlag, März 2022
[2] DIN EN 15 251 (zurückgezogen) Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik; Deutsche Fassung EN 15251:2007. Berlin: Beuth Verlag, Dezember 2012
[3] Weitere Informationen zum Thema, zum Beispiel im Beitrag zum „Risikograph Raumluftfeuchte“ und in der Broschüre „Luftfeuchte am Arbeitsplatz – Voraussetzung für Behaglichkeit und Gesundheit“ finden sich in der Rubrik Fachwissen auf www.condair.de